Stefan Krempl Die Sprache |
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Die Sprache ist eines der ursprünglichsten und eines der wichtigsten Medien. Zwar können sich Bilder nach Auffassung vieler Forscher auf einen daseinsbedingten zeitlichen Vorsprung, auf eine ältere Tradition bei der Vermittlung von Wirklichkeit gegenüber der Sprache stützen: In der Menschheitsgeschichte steht die Stufe der Anschauungen und des Imaginierens vor dem Niveau des Begreifens und Erzählens mit Hilfe von Texten (vgl. Flusser 1985, 10). Für die menschliche Kommunikation, durch die Normenentstehen, Werte tradiert und Kulturinhalte vermittelt werden, spielt allerdings vor allem die Sprache eine wichtige Rolle.
Eine gründliche philosophische Auseinandersetzung mit der Sprache kommt vor allem von Johann Gottfried Herder (1744-1803). Der Weimarer Denker fasst den Menschen als "denkendes sensorium commune", als Sprachgeschöpf auf. Sprache ist für ihn das Werkzeug zur Welterschließung; sie unterscheidet den Menschen vom Tier, gibt ihm seine Vernunft. Herder entpuppt sich in seiner Sprachphilosophie nicht nur als Aufklärer, sondern auch als einer der Urväter der Semiotik. So legt er dar, dass der Mensch seine Wahrnehmungsmerkmale in "Zeichen" und Begriffe fasst (>>>Grundlagen der Semiotik), mit denen er sich die Welt erklärt und "Merkworte ins Buch seiner Herrschaft" einträgt (zitiert nach Hartmann 2000, 83). Der Mensch lebt und denkt begrifflich. Begriffe sind von einer Gemeinschaft geteilte innere Zwänge. Sie sind an äußerliche Bedingungen der Verwendung gebunden. Die Menschheit ist die einzige Spezies, deren Verhalten nicht genetisch vorprogrammiert ist. Ihr unerträglich flüchtiges Potential muß in jeder Gemeinschaft gezügelt werden, wenn Kohäsion, Kooperation und Kommunikation überhaupt möglich sein sollen. Ernest Gellner (1995): Descartes & Co. Von der Vernunft und ihren Feinden. Hamburg (Junius), 49 Es ist die Sprache, die den Menschen von der Natur unterscheidet (Leach 1991, 45), mit Hilfe der Sprache ordnen die Menschen ihre Welt (Bergsdorf 1983, 23). Mit Habermas, der sich an Mead anlehnt, kann man sagen, dass durch die Sprache intersubjektive Beziehungen aufgebaut und im kommunikativen Handeln moralische Geltungsansprüche der Wahrheit, der Richtigkeit und der Wahrhaftigkeit --erhoben werden. Die Sprache ist der Schlüssel zur Welt des Sprechers und des Hörers (Edelman 1976, 168). Der Mensch ist nur Mensch durch Sprache; um aber die Sprache zu erfinden, müsste er schon Mensch seyn. Wilhelm von Humboldt: Über das vergleichende Sprachstudium in Beziehung auf die verschiedenen Epochen der Sprachentwicklung (1820) Ein wichtiges Mittel zur Bestimmung von Wirklichkeit durch die Sprache ergibt sich aus ihrer Codiertheit. Wie jedes Zeichensystem (>>> Exkurs: Grundlagen der Semiotik) ist auch die Sprache codiert, d.h. ein Regelsystem bestimmt den Austausch der Zeichen zwischen Sender (Kommunikator) und Empfänger (Rezipient). Vor allem dualistische Sprachcodes erlauben nun, die Realität in bestimmter Weise zusammenzufügen, denn: Alltagshandeln wird zuallererst bestimmt durch die einfache Differenz zwischen Ich und Welt, Innen und Außen, Vertrautem und Unheimlichen (Giesen 1991, 21). Diese Inklusionen verknüpfen sprachliche Kommunikation und individuelles Entscheidungshandeln als eine Art sozialer Metacode, durch sie wird das Gefühl der Gemeinschaft zwischen Angehörigen bestärkt und zugleich eine Abgrenzung von fremden sozialen Gruppen ermöglicht (ebd., 176). |
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Die Sprache im Rahmen der Zeichentheorie bei Saussure
Der Schweizer Ferdinand de Saussure gilt als Vater der modernen (strukturalistischen Sprachwissenschaft). Er fasst Sprache zunächst grundsätzlich als ein System von Zeichen, die Ideen ausdrücken. Insofern ist sie der Schrift, dem Taubstummenalphabet, symbolischen Riten, Höflichkeitsformen, militärischen Signalen usw. vergleichbar. Allerdings hält sie Saussure für das wichtigste dieser Systeme. Saussure geht davon aus, dass die Theorien der sprachlichen Zeichen bereits gut ausgearbeitet sind. Man sollte deshalb andere semiotische Zeichen von sprachlichen Zeichen differenzieren und diese dadurch besser interpretieren lernen. Das semiotische Dreieck Das sprachliche Zeichen vereinigt demnach nicht eine Sache und einen Namen, sondern nur einen Begriff und ein Lautbild. "Das ist keine Pfeife" -- René Margritte: Skizze zu 'The Treachery of Images' (1929) Der Strukturalismus, der auf den Untersuchungen Saussures sowie Roman Jakobsons fußt, sieht die Sprache insgesamt in der Polarität zwischen syntagmatischen Abfolgen (Metonymien) und paradigmatischen Reihungen (Metaphern). Dem unendlich variablen Prozeß der Sprache als 'parole wird eine endliche und invariante Struktur der Sprache als 'langue unterlegt, ein System aus Kombinations- und Selektionsregeln, die auf durch Nähe und Distanz (Kontiguität) und Ähnlichkeit und Unterschied (Similarität) gebildeten Relationen beruhen (Debatin, Bernhard (1995): Die Rationalität der Metapher. Eine sprachphilosophische und kommunikationstheoretische Untersuchung. Berlin/New York (de Gruyter), 185f). |
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Kritik an Saussure
Giesecke (1992) hat den Prozess beschrieben, in dem die 'Standardsprache gegen die Vielfalt der mündlichen Sprachen und Dialekte überhaupt erst durchgesetzt wurde; eine herausragende Rolle spielte dabei die >>> Drucktechnik, die als eine Instanz der Normierung und einer gewaltförmigen Überwindung historisch entwickelter Differenzen gewirkt hat. Der abstrakte Sprachbegriff Saussures spiegelt nach Giesecke diese Tendenz unmittelbar wieder (vgl. a. Winkler 1997, 73): Bedingung ist, daß das Zeichensystem als ein geschlossenes System behandelt werden kann. Wenn man sich die Vielzahl von Reduktionen noch einmal vor Augen führt, die de Saussure vornehmen muß, um seinen Gegenstand, die Sprache, zu schaffen, dann wird deutlich, daß diese Abstraktion alles andere als ein natürliches, mit der Schöpfung gegebenes Phänomen ist. Diese 'Einheit ist eine künstliche, historisch recht junge Erfindung, eine soziale Konstruktion. Giesecke 1992, 20-25 |
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Die Sprachkrise
Schon Wilhelm von Humboldt entdeckt am Anfang des 19. Jahrhunderts, dass Sprache einen Moment der Gewalt ausübt bzw. das Denken des Menschen auch "vergewaltigen" kann. Er denkt dabei an Struktureigenschaften von Sprache: als geistiger Akt, so Humboldts (nicht ganz vergewaltigter) Gedankengang, wird Sprache stets neu erzeugt -- allerdings aufgrund von objektivierten Prämissen, über die der einzelne Mensch keine Macht hat (vgl. Hartmann 2000, 93f). Man denkt nicht außerhalb der Sprache. Wittgenstein, zitiert nach Hartmann 2000, 93 Insgesamt wird im 19. Jahrhundert die Sprache auf den Prüfstand gestellt. Die meisten Literaten und Denker empfinden dabei ein immer größeres Unwohlsein anhand der sprachlichen Verfasstheit des Denkens und der Welt. Die Sprache wird immer stärker als ein ideologischer Schleier gesehen, der sich über die gesamte Wirklichkeit legt. Diese "Bewegung" findet ihren treffenden Ausdruck in einem Brief, den Hugo von Hofmannsthal Lord Chandos in die Feder legt und ins 17. Jahrhundert rückdatiert. Darin beklagt sich der englische Adlige, dass ihm buchstäblich (sic!) die Worte im Munde zerfallen und er die Realität mit ihnen nicht (mehr?) fassen kann. Es ist mir völlig die Fähigkeit abhanden gekommen, über irgend etwas zusammenhängend zu denken oder zu sprechen. Zuerst wurde es mir allmählich unmöglich, ein höheres oder allgemeineres Thema zu besprechen und dabei jene Worte in den Mund zu nehmen, deren sich doch alle Menschen ohne Bedenken geläufig zu bedienen pflegen. Auszug aus dem Brief des Lord Chandos Die Unzufriedenheit mit den Möglichkeiten der Sprache (und letztlich auch der Schrift) erklärt Winkler folgendermaßen: Bisher hatte "der Schleier der Gewohnheit" verdeckt, "daß Sprache auf gesellschaftlicher Vereinbarung beruht und, von Werturteilen durchsetzt, keineswegs auf Erkenntnis und Wahrheit, sondern weit eher auf gesellschaftlichen Konsens abzielt. Es ist dies die andere Seite des 'Konventionen'-Begriffs, die Einsicht in die grundsätzliche Arbitrarität der Sprache" (1997, 200). Das Unwohlsein, in dem sich für Winkler ein "tiefverwurzeltes Grauen vor der Arbitrarität" , vor der Einsicht, dass die Zeichen in der Welt "keine zuverlässige Stütze haben" (ebd., 214), mündet schließlich in den Sprachkritiken Wittgensteins und Mauthners. "Sprache verliert in den Schriften dieses zu seiner Zeit populären Sprachkritikers ihren hehren Nimbus eines die Menschheit beglückenden Kommunikationsmediums, um als Instrument der Verblendung, Täuschung und Unterdrückung nicht nur einer beißenden Kritik, sondern einem breiten, dekonstruktiv angelegten Desillusionierungsunternehmen unterzogen zu werden. Mauthner, der fundierte schriftstellerische und journalistische Erfahrungen besaß, ist wie besessen von der Vorstellung, die Menschheit von ihrem Wortaberglauben zu befreien, von all den ideologischen und religiösen Scheinbegriffen, von den Schlagwörtern der Dogmatiker wie den programmatischen Begriffen der Aufklärer" (Hartmann 2000, 97). Die Zeit scheint reif für einen Paradigmenwechsel, für den Übergang zum Universum der technischen Bilder. |
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