Stefan Krempl

 

Platons Ablehnung der Schrift
in einem Dialog zwischen Sokrates und Phaidros

Platon warnt im “Phaidros” vor der Schrift, die er der Rede (der aktualisierten Sprache) für nachgeordnet hält. Beachtenswert ist dabei die Konstruktion: Platon legt seine Kritik in einem fiktiven Dialog zwischen Sokrates und dessen Schüler Phaidros vor (in dem es eigentlich um ganz andere wichtige Dinge wie die Liebe geht). Sokrates wiederum lässt Plato eine Geschichte aus dem “alten” (bzw. “noch älteren”) Ägypten erzählen, in der König Thamos die vom Gott Theut erfundene Schrift zurückweist. Da die Erzählung paradigmatisch ist für einen Großteil der Medienkritik bis heute und Kernbegriffe der Medientheorie wie “externer Speicher bzw. externes Gedächtnis” , wird sie hier in Auszügen wiedergegeben.

Als er aber auf die Schrift kam, da rief Theut, der Gott, gleich: “König, wenn deine Ägypter die Schrift lernen, dann werden sie weiser sein und ein besseres Gedächtnis haben. Mit der Schrift habe ich ein Mittel für beides gefunden: für die Weisheit und das Gedächtnis. Denke!”

Der König erwiderte: “O du überaus kluger Theut, eine Kunst erfinden und den Nutzen und Schaden berechnen, die aus der Kunst für denjenigen entspringen, der sie üben will, das ist nicht dasselbe! Du bist der Vater der Schrift, aber aus Liebe zu deinem Kinde erwartest du von ihm gerade das Gegenteil dessen, was dieses geben kann. Wer die Schrift gelernt haben wird, in dessen Seele wird zugleich mit ihr viel Vergeßlichkeit kommen, denn er wird das Gedächtnis vernachlässigen. Im Vertrauen auf die Schrift werden sich von nun an die Menschen an fremden Zeichen und nicht mehr aus sich selbst erinnern. Theut, du hast ein Mittel für die Erinnerung und nicht für das Gedächtnis gefunden. Theut, du bringst deinen Schülern den Schein einer großen Weisheit und nicht die Wahrheit. Deine Menschen werden jetzt viel, sehr viel lernen, aber alles ohne zugleich darüber eigentlich belehrt zu werden; die Menschen werden dir jetzt viel zu wissen meinen, während sie nichts, nichts wissen. Theut, und du beschwörst uns damit ein lästiges, geschwätziges Geschlecht, ein Geschlecht von Scheinweisen, ein Geschlecht, das kein wahres Wissen mehr hat.

Platon: Gastmahl / Phaidros / Phaidon. Ins Deutsche übertragen von Rudolf Kassner. Wiesbaden (VMA), 1959, 142f.

 
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Längerer Auszug aus dem Phaidros-Dialog (Exzerpt von Michael Giesecke)

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