Stefan Krempl

 

Mediendefinitionen
Die Debatte um die Leitmedien

Als “allgemeine anspruchslose Standarddefinition” von Medien führt Hörisch an: “Medien speichern und/oder transportieren über unterschiedliche Kanäle (wie Bücher, Telefonleitungen, Tonbänder und Disketten) Mitteilungen und Informationen” (Hörisch 1998, 28).

Faulstich dagegen vertritt die komplexere Definition: “Ein Medium ist ein institutionalisiertes System um einen organisierten Kommunikationskanal von spezifischem Leistungsvermögen mit gesellschaftlicher Dominanz” (Faulstich 2000, 27).

Gern werden Medien auch über ihre Bindung an gewisse Techniken differenziert. Durchgesetzt hat sich dabei weitgehend die Unterscheidung in Primärmedien (sie bedürfen weder zur Produktion noch zur Rezeption größerer Techniken -- Musterbeispiele sind das Theater oder die Rede), Sekundärmedien (sie erfordern einen Technikeinsatz wie den Druck auf der Produktionsseite -- also etwa die Zeitung) und Tertiärmedien wie Telefon, Schallplatte, Fernsehen oder Radio, bei denen ohne Zusatztechniken bei der Rezeption und bei der Produktion nichts funktioniert. Teilweise geht die Unterscheidung inzwischen weiter bis zu den Quartärmedien, bei denen auch bei der Distribution die Digitaltechnik eine wichtige Rolle spielt und die wie im Fall des Internets traditionelle Sender-Empfänger-Beziehungen unterlaufen können (vgl. u.a. Hörisch 1998., 29 / Faulstich 2000, 21).

Bei diesen Medienunterscheidungen anhand der ihnen zugrundeliegenden Techniken ist aber zu beachten, dass zur Nutzung der meisten Medien Techniken im Sinne von “Kulturtechniken” (Lesen, Schreiben) notwendig sind.

Der technische Medienbegriff ist in der "modernen" Medienforschung sehr beliebt, da die Massenmedien und auch interaktive, computergestützte Medien technologiebasiert sind. Hartmann geht sogar so weit, von einer "weiteren nazisstischen Kränkung" zu sprechen, welche die von technologischen Automatisierungsprozessen bestimmten Medien dem modernen Menschen zugefügt haben: "dass er nämlich gezwungen ist, seine Wahrnehmungen mit den Apparaten zu teilen." Die durch Apparate vermittelte Weltsicht würden dem Menschen vor Augen führen, "dass Denken, Technologien und kulturelle Ausdrucksform in einem radikalen Abhängigkeitsverhältnis stehen."

Diese -- nach Kopernikus, Darwin und Freud -- vierte narzisstische Kränkung ist also die Distanzierung der menschlichen Wahrnehmung durch die medialen Apparate, die seit Anfang des 19. Jahrhunderts entwickelt werden. Nicht dass dies eine neue Beobachtung wäre. So schreibt der siebzigjährige Alexander von Humboldt Anfang 1839 aus Paris an seinen preußischen König über die Daguerreotypie, dass bei dieser neuen Technik die Gegenstände "sich selbst in unnachahmlicher Treue mahlen" -- und damit Produkte zu erzeugen, die "unaufhaltsam den Verstand und die Einbildungskraft ansprechen". Entscheidend daran ist zu einen die vermeintliche Subjektlosigkeit des medialen Prozesses, zum anderen das Entstehen einer spezifischen Medienwirklichkeit. Die Kamera repräsentiert nicht Realität, sondern entdeckt ein "Optisch Unbewusstes" (W. Benjamin) der Wirklichkeit.

Hartmann 2002

 

Begriffsverwirrung -- Wie Medien begriffen werden (Faulstich 2000)

“Medium” kann in drei verschiedenen Verwendungszusammenhängen gesehen werden: Im allgemein Sprachgebrauch (erstens), als Wort, heißt Medium “Mittel” oder “Vermittelndes”. …

In verschiedenen Disziplinen wird Medium sodann (zweitens) als Fachbegriff verwendet. In diesem Sinn spricht die Pädagogik von den “Unterrichtsmedien”, die Literaturwissenschaft von “Medium Literatur”, … die Sprachwissenschaft vom “Medium Sprache” usf. In diesem Zusammenhang … wird “Medium” in aller Regel nur im übertragenen, analogen Sinn gebracht, oder es dominiert der Charakter des Instrumentellen. Darauf kann kaum deutlich genug hingewiesen werden: Wenn man vom Licht oder vom Rad, von der Uhr oder von der Schreibmaschine usf. als von “Medien” spricht (z.B. Marshall McLuhan), dann sind damit stets nur ganz allgemein, oft metaphorisch umkleidet, Werkzeuge oder Mittel oder Instrumente gemeint. In dieser Form kann schlechthin alles ein Medium sein.

Einige Disziplinen widmen sich zentral dem “Medium”, und hier kann man nicht mehr lediglich von Begriffen oder gar nur Wörtern sprechen, sondern hier wurden (drittens) komplexere theoretische Bedeutungen von “Medium” als spezifischem Phänomen entwickelt. Schon in der Terminologie unterscheiden sich diese Auffassungen beträchtlich voneinander: Einmal heißt Medium “Zeichenvorrat” (Informationstheorie und Kybernetik), dann “technischer Kanal” (Kommunikationssoziologie und Massenkommunikationsforschung/Publizistikwissenschaft), dann wiederum “ästhetisches Kommunikationsmittel” (Einzelmedientheorie und Medienwissenschaft) oder schließlich “gesellschaftliche Interaktion” (Soziologie, speziell Systemtheorie).

Die Vielfalt der Medienbegriffe lässt sich so weiter unterteilen in den:

universalen, weiten Medienbegriff (orientiert sich an der etymologischen Bedeutung des lateinnischen Wortes medium = Mittel/Vermittlung)

elementaren, semiotischen Medienbegriff (dabei werden Medien als eine kommunikative, zeichenbasierte Interaktion aufgefasst und semiotisch analysiert)

technischen Medienbegriff

Differenzieren kann man desweiteren nach den angesprochenen Rezipienten (Individual- vs. Massenkommunikation) oder den ökonomischen und rechtlichen Grundlagen (organisationssoziologischer, systemischer Medienbegriff). Dabei werden die Grenzen fließend zum Begriff "Mediendispositiv", worunter man die sozialen Zusammenhänge von Technik, Produktions- und Rezeptionsbedingungen und Funktionen versteht. Dabei kommt es auch zur Untersuchung der politischen Wirkung von Medien (vgl. Böhm, Andreas 2001).

Gibt es "Leitmedien"?

Als Leitmedien bezeichnet Hörisch Medien, die “nicht eigentlich vermeidbar” sind (Hörisch 1998, 30). Als Beispiel führt er das Medium Geld an. “Geld ist teilnahmepflichtig, noch der größte Geldkritiker kann dieses Medium nicht vermeiden. … Geld strukturiert Zeiterfahrungen (man kann Anleihen auf die Zukunft nehmen, in der Vergangenheit gespartes Geld aufbewahren, hier und jetzt Geld als Tauschmittel einsetzen). Und auch Geld koordiniert Interaktionen.”

Lange Zeit wurden am Ende des 20. Jahrhunderts die AV-Medien und vor allem das Fernsehen als Leitmedium angesehen. Diese Definition lässt sich aber letztlich nur auf die öffentlich-rechtlichen Fernsehjahre beziehen, als das TV-Medium für die “Grundversorgung” der Zuschauer (mit Information und Kultur) sorgte. Spätestens seit das Privatfernsehen den öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten Konkurrenz macht, ist die Qual der Wahl aber größer und gleichzeitig die Möglichkeit, ein gemeinsames “Weltbild” über das Programm zu prägen, kleiner geworden.

Aus den frühen Leitmedien sind Multimedien geworden. “DIE Medien sind an die Stelle DES einen Leitmediums getreten.

Hörisch 1998, 31

Kritik am Konzept der Vorrangstellung eines Mediums und der Definition des "Leitmediums" übt vor allem Winkler (1997, 188):

Das Konzept des 'Leitmediums' aber wirft Probleme auf. Wie nämlich soll der Begriff genau definiert werden? Ist es bereits die Erfindung der Schrift, die den Umbruch auslöst, oder ist zentral, daß eine Schreiberkaste sich etabliert und Einfluß auf den gesellschaftlichen Prozeß gewinnt? Oder löst erst die allgemeine Alphabetisierung die orale Traditionsbildung endgültig ab? Quantitative und qualitative Kriterien scheinen rettungslos ineinander verstrickt.

Zudem verstellt die Rede vom Leitmedium allzu leicht den Blick auf die Tatsache, daß es grundsätzlich Medienkonstellationen sind, ein Konzert verschiedener ineinander verwobener Medien, die eine medienhistorische Situation bestimmen.

 
Literatur

Faulstich, Werner (2000, 4. A.) (Hg.): Grundwissen Medien. München (Wilhelm Fink)

Hörisch, Jochen (1998): Einleitung zu: Ludes, Peter (1998): Einführung in die Medienwissenschaft. Entwicklungen und Theorien. Berlin (Erich Schmidt), 11-32

Winkler, Hartmut (1997): Docuverse. Zur Medientheorie der Computer. München (Boer).

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