Stefan Krempl


Die Mediatisierung der Politik und die Politisierung der Medien.


Nicht nur zum Fall Berlusconi


 

Vortrag im Rahmen der Ringvorlesung "Feindliche Übernahmen?"
des Forschungsinstitut für Philosophie Hannover
Sommersemester 2002

Über Italien liegt ein Schatten.

SZ Magazin vom 19. April






Vor fast genau einem Jahr, am 13. Mai 2001, wählten die Italiener den rechtslastigen Multimilliardär Berlusconi zu ihrem Regierungschef. Zuvor hatten sie in der Nachkriegszeit bereits 58 Kabinette in 56 Jahren verschlissen – die Regierung Berlusconi schlägt sich momentan also tapferer als viele ihrer Vorgänger. Am Tag nach der Wahl bestimmten in deutschen Tageszeitungen nüchterne Schlagzeilen die Blätter.

In der Folgezeit wird die gesamte deutsche Presse rasch kritischer gegenüber Berlusconi. Gerade in den letzten Monaten beherrschen Schlagzeilen wie "Ein postmoderner Faschist" (Berliner Zeitung), "Die Nacht der Demokratie" (Spiegel) oder "Citizen Kane in Rom" (Neue Zürcher Zeitung) die Zeitungen und Magazine.

Der Grund ist offensichtlich. Nie zuvor gab es im demokratischen Europa eine größere Verstrickung von Wirtschaftsmacht, Medienmacht und politischer Macht in der Hand einer Person. Oder doch: 1994, als Berlusconi schon einmal als Ministerpräsident Italien beherrschte, damals aber nach einem dreiviertel Jahr gestürzt wurde.




Berlusconi ante Portas

Die Pleite seines "Freundes" Leo Kirch gibt Berlusconi zumindest theoretisch eine günstige Gelegenheit, ins Fernseh-, Medien- und Politikreich jenseits der Alpen vorzudringen. Seit Wochen spekuliert die Presse darüber, ob, wann und wie viel Berlusconi zusammen mit der anderen großen Übelgestalt der globalen Medienlandschaft, dem von Australien über England in die USA ausgewanderten Unternehmer Rupert Murdoch, von der insolventen Kirch-Gruppe übernehmen könnte.

Mir macht die Konzentration von elektronischer Medienmacht in den Händen von Privatpersonen große Sorgen. Welchen Schaden ein Politiker wie Berlusconi damit anrichten kann, das sehen wir ja in Italien.

Bundesjustizministerin Herta Däubler-Gmelins

Eine mögliche Beteiligung von Italiens Ministerpräsident wirft unzweifelhaft staats- und völkerrechtliche Fragen auf. Ein Einstieg wäre ungeheuerlich … und würde auf Grund seiner derzeitigen Stellung als italienischer Regierungschef durchaus die Souveränität der Bundesrepublik Deutschland in Frage stellen.

Wolgang Clement, NRW-Ministerpräsident




Säulen der Macht Berlusconis


Als Hauptaktionär des Medienkonzerns Mediaset bzw. der übergeordneten Fininvest kontrolliert der Multimilliardär Berlusconi die drei großen italienischen Privatsender Tele 5, Rete Quattro und Italia 1. Seit seiner Wahl zum Ministerpräsidenten im Mai untersteht auch die staatliche RAI -- Radiotelevisione Italiana -- seinem Einfluss. Berlusconis Regierung steckt den finanziellen Rahmen ab und bestimmt das Führungspersonal. Mediaset und RAI zusammen bedienen weit über 90 Prozent der Zuschauer. Dazu kommt, dass Berlusconi über seine Werbeagentur Publitalia auch einen Großteil des Anzeigenmarktes in Italien kontrolliert.

Nirgendwo sonst in Europa ist so viel Meinungsmacht in einer Hand. Das ist Gift für die Demokratie, schreibt der Spiegel.

Rund 4 Milliarden Euro Umsatz macht die Fininvest-Gruppe, zu der neben dem Mediaset-Teil auch Bank- und Versicherungsbeteiligungen gehören sowie der Fußballclub AC Milan. Das Imperium beschäftigt direkt über 25 000 Mitarbeiter.

Die Fininvest ist ein System, das sich als Kommunikationsorganisation ständig selbst reproduziert und verschiedene Teilsysteme, wie Wirtschaft, Politik, Kultur und die Familie, vor dem Fernsehschirm integriert.

Berlusconi schaffte es, während der Jahre der Korruption und des moralischen Siechtums in Italien eine Bilderbuchkarriere auf die Bühne zu legen, die in ihrer Opulenz und Traumhaftigkeit dem Kino Hollywoods entsprungen zu sein scheint. Eine italienische Karriere, die auf dem Filz und dem Schlamm der Ersten Republik gedeiht und aus vielerlei fremden Quellen schöpft.

Berlusconis Hauptwerk: die Satellitenstadt Milano 2 an der äußeren Peripherie Mailands, die im ganzen Land seinen Ruf als tüchtiger Unternehmer begründet. Woher das Geld für dieses gewaltige Projekt stammt, ist nicht ganz aufzuklären, offiziell kommt das Kapital aus der Schweiz und wird mit Mafiageldern in Zusammenhang gebracht. Zugleich beginnt das Versteckspiel von verschiedenen Gesellschaften und das Vorschieben von Strohmännern, in dem es Berlusconi mit der Zeit zur wahren Meisterschaft bringt.

Angesichts des Atem beraubenden Aufstiegs stellt sich aber die Frage, wie diese Erfolgsgeschichte möglich war. Ruggeri und Guarino sind der festen Auffassung, dass Silvio Berlusconis Weg an die Spitze vorgezeichnet war -- und zwar im "Plan der demokratischen Wiedergeburt" der rechtsextremen Loge Propaganda 2 (P2). Der sah als Zielpunkt die Umwandlung der parlamentarischen Republik in eine präsidiale vor.




Wie Berlusconi seine Medien im Wahlkampf 1994 instrumentalisierte


Am 26. Januar 1994 gibt Berlusconi offiziell seinen Einstieg in das Rennen um die Parlamentswahlen bekannt. Zuvor war ein Sturm der Enthüllungen von Korruption, Amtsmissbrauch und Verstrickung zwischen Politik und Mafia -- losgelöst von Mailänder Richtern ("Mani pulite" -- "die sauberen Hände") über das ganze Land gebraust und hatte fast die gesamte alte Politikergarde bis hin zu den Spitzenmännern Bettino Craxi und Giulio Andreotti hinweggefegt. Hinter der Entscheidung Berlusconis verbarg sich jede Menge Zündstoff angesichts seiner Konzernmacht.

Bereits zwei Monate nach seinem Eintritt in die Politik ging Berlusconi als strahlender Sieger aus den Wahlen hervor und wurde Ministerpräsident. Wahrlich ein Phänomen. Berlusconi -- ganz Mann des alten Systems, den die Freundschaft mit Craxi erst groß gemacht hatte -- wurde zum Hoffnungsträger der Erneuerung der Italiener. Ein Ereignis der "Machtergreifung“, das Paul Virilio als "mindestens so einschneidendes Ereignis wie den Fall der Berliner Mauer“ bezeichnete (in: Die Zeit vom 15.4.1994). Hatte doch der "Machiavelli aus Zelluloid“ (ebd.) seine Fernsehsender voll in den Wahlkampf mit einbezogen und sich selbst nach allen Regeln des Marketings als Held positioniert, der das "neue italienische Wunder“ vollbringen werde. Vor allem seine Werbeagentur war Berlusconi behilflich gewesen, das neue "Produkt“ der Fininvest zu vermarkten.




Bilanz der zweiten Regierungs"ära" Berlusconis


Berlusconi, schreibt der Soziologe Nanda Dalla Chiesa, der Sohn eines von der Mafia ermordeten Carabinieri-Generals, in der "Unità", dem ehemaligen Parteiorgan der Kommunisten, habe bislang vor allem Gesetze durchgeboxt, die seinen privaten Interessen und denjenigen einiger Getreuer dienten. "Für die regierende Mehrheit gibt es keine ethischen Hindernisse, keine institutionellen, politischen und kulturellen Rücksichten."




Beziehungsnetze zwischen Medien und Politik


Zwischen den Massenmedien und der Politik herrscht ein komplexes Verhältnis der Systemverschränkung bzw. der gegenseitigen Beeinflussung. Es geht dabei um die Darstellung von Wirklichkeit, um die Macht zweier Systeme, die sich mal verbünden, mal bekämpfen. Wer dabei wen im Sinne der demokratischen Gewaltenteilung kontrolliert, ist oft nicht zweifelsfrei auszumachen, so dicht ist das Netz der Beziehungen zwischen den beiden großen Machtzentren der Informationsgesellschaft.


Charismatische Führer sind fernsehgerechter als Botschaften. Personen sind fernsehgerechter als Bewegungen. Symbole sind fernsehgerechter als Philosophien.

Jerry Mander

Begehrlichkeiten gibt es von beiden Seiten: Medienunternehmen streben – geschützt durch die Politik – Monopolstellungen an, um dadurch verstärkt auch politische Macht zu erreichen; Politiker wollen die Medien unter ihre Kontrolle bringen, um widerspruchslos mit Hilfe einer geschönten medialen Selbstdarstellung ihre Ziele verfolgen zu können.


Transpolitik

Das Transpolitische ist die Transparenz und Obszönität aller Strukturen in einem entstrukturierten Ganzen ... die Transparenz und Obszönität der Information in einem Gefüge, in dem es keine Ereignisse mehr gibt; die Transparenz und Obszönität des Raumes in der Vermischung (Promiskuität) der Netze.

Jean Baudrillard


Unterwerfung der Politik

Mediatisierung der Politik bedeutet, daß die Medien, das Fernsehen voran, die Politik weithin ihren Eigengesetzlichkeiten unterworfen haben.

Oberreuter

Die These von der Mediatisierung der Politik scheint aber differenzierungsbedürftig (vgl. a. Saxer 1989, 122f), wenn man bedenkt, dass das Privatfernsehen vor allem auf Drängen der Medienpolitiker in der CDU/CSU-Koalition eingeführt wurde. Anscheinend kommt es vielen Politikern nur gelegen, wenn Politik sich in der Darstellung von Symbolhandlungen und Persönlichkeiten erschöpft und endlich den „Ballast“ umständlicher Argumentation und den Zwang zu rationalen Problemlösungen abwirft. Und Edmund Stoiber, der Medienpolitik zur Chefsache erklärt hat, holt nun auch die Nähe zu seinem Schützling Kirch wieder ein, da die halbstaatliche Bayerische Landesbank mit knapp zwei Milliarden Euro in der Pleite mit drin hängt. „Leo Kirch ist selbst in den Sumpf geritten“, so die SZ am 11.4.2002. „Aber das Pferd für den wilden Ritt hat ihm Edmond Stoiber zur Verfügung gestellt.“ Interessant auch der Blick nach Italien: Auch dort hat Berlusconi seine drei Privatsender nur durch eine schier grenzenlose politische Protektion, vor allem durch den Sozialisten Bettino Craxi, aufbauen bzw. halten können.


Die Medien als vierte Gewalt

Die Metapher von der Publikative als vierter Gewalt, die über die anderen Gewalten wacht, ist populär und in vieler Munde. Die Rolle ist in demokratischen Verfassungen in Form der Garantie der Presse- und Meinungsfreiheit fest verankert. Tatsächlich hat die Presse Erfolge im Aufdecken von Skandalen und Korruption vorzuweisen.


Telekratie

Mit den internationalen Medienimperien scheinen Machtzentren entstanden zu sein, die an Potenz die tradierten Gewalten überspielen können und förmlich aus dem antiquierten System der Gewaltenteilung herausfallen. Wenn den Medien aber die meiste Macht zufällt, wird aus der Demokratie die Medio- oder Telekratie, die „lautlose Herrschaft des Medienverbunds“ (Peter Glotz in Die Woche vom 21.7.1994).


Medien außer Kontrolle?

Die vierte Gewalt -- wie sie gemeinhin noch bezeichnet wird -- ist also die einzige unserer Institutionen, die keiner wirkungsvollen demokratischen Kontrolle unterliegt, denn jede gegen sie gerichtete unabhängige Kritik und jede alternative Problemlösung bleiben dem großen Publikum ganz einfach unbekannt, weil sie keine Chance zu großer Verbreitung haben und infolgedessen nicht bis zu ihm durchdringen.

Paul Virilio


Die Instrumentalisierung der Medien durch die Politik und die Pressezensur

Wie Karl W. Deutsch bereits Ende der sechziger Jahre festgestellt hat, ist die „Kontrolle über die sozialen Institutionen der Massenkommunikation und allgemein über die Speicherung und Weiterleitung von Information ... ein Hauptbestandteil der Macht“ (1969, 280). Welcher Politiker möchte sich diese Macht entgehen lassen? Die Verlockungen sind groß und viele Politiker und die Parteien insgesamt können kaum widerstehen, Fernseh- und Rundfunkanstalten sowie Verlage unter ihre Kontrolle zu bekommen. Oft wird dabei auch zum Mittel der Zensur gegriffen, wie sie momentan vielleicht am augenfälligsten der russische Präsident Wladimir Putin praktiziert.


Tele-Politokratie

Es bietet sich an, von zwei wichtigen und potenten Machtsystemen in der hoch technologisierten Industriegesellschaft auszugehen, die sich teilweise bekämpfen, sich teilweise aber auch in symbiotischen und synergetischen Kräfteverhältnissen verbinden.




Eine Lösung für den Fall Berlusconi?


Ein Mann, der binnen zwanzig Jahren eine obszöne Machtfülle anhäufte, wie sie objektiv nicht hinzunehmen ist in einer Demokratie. ... Immer öfter blicken wir italienische Berlusconi-Gegner nach Straßburg und Brüssel wie gute Muslime gen Mekka, in der Hoffnung, dass Europa Berlusconi in die Schranken weist. ... Vielleicht muss Europa Beispiele setzen an Härte, Gesetzestreue und Gerechtigkeit, wenn Italien einen Sonderweg einschlägt. Beispiele, die Millionen Berlusconi-Wähler nachdenklich machen könnten.

Michelle Serra


Zwar ist der Aufstieg Silvio Berlusconis in erster Linie das Resultat spezifischer kultureller und politischer Verhältnisse Italiens und hat keinen Modellcharakter. Zugleich ist er aber auch Symptom eines umfassenden gesellschaftlichen Wandels, der durch die Globalisierung und den Souveränitätsverlust des Nationalstaats hervorgerufen wird. ... "Populismus neuen Typs", der eine gefährliche Vereinfachung der Regierungsformen und der Funktionsweise unserer politischen Systeme anstrebt. Er beantwortet die Herausforderungen der Globalisierung, indem er die plebiszitären Komponenten der Demokratie überbetont. ... der Sieg Berlusconis und neuerdings der Erfolg Le Pens belegen, dass die Integrationskräfte der modernen Massenparteien erschöpft sind. Also jener catch all parties, die nach dem Zweiten Weltkrieg die europäischen Wohlfahrtsstaaten getragen haben. Die Rechte versucht, diesen Verlust durch einen "postmodernen" Populismus aufzufangen. Auf der Linken aber gerät die Kritik daran ins Stottern. Ihre Antwort auf die Frage, wie die Demokratie im Zeichen der Erosion ihrer traditionellen Institutionen zu erneuern ist, steht noch aus.

Angelo Bolaffi


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