Krieg und Internet: Ausweg aus der Propaganda?
Medien und globale Konflikte. Wie werden globale Konflikte in den Medien behandelt?
Tagung der Deutschen
Gesellschaft für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft
(DGPuK)
in Verbindung mit dem Treffen des Netzwerk Medienethik
München, 20.02.2004
Ausgangssituation
und Forschungsinteresse Einzig
verbleibende Supermacht nach dem Fall der Mauer: USA Wirtschaftliche
und technologische Überlegenheit Instabile
Lage, Terrorismus Krieg
als Mittel zur Konfliktlösung wieder verstärkt akzeptabel
(Revolution in Military Affairs); bedarf als Rechfertigung
in demokratischen Zivilgesellschaften aber enormen Propagandabemühungen über
die Massenmedien, die häufig mitziehen. Internet
als Hoffnungsträger ("elektronische Agora", "Gegenöffentlichkeit") Forschungsfrage:
Wie werden Kriege und ihre Vorbereitungen in den Medien demokratischer
Staaten diskursiv behandelt? These ist dabei, dass die neuen Technologien
die mediale Konfliktbewältigung verändern. Konkret:
Kann das Internet mit seinen neuen Kommunikationsforen einen "diskursiven
Mehrwert" zur Kriegsdarstellung und -verarbeitung in den traditionellen
Massenmedien bieten und deren Informations- und Diskussionsdefizite
ausgleichen? Entsteht im Netz eine "zweite Supermacht"? Das
System der Massenmedien in der Demokratie Vermittlung
von Wirklichkeit, Herstellung von Öffentlichkeit Artikulierungs-,
Kritik- und Kontrollfunktion ("vierte Gewalt") Beeinflussung
durch PR, Think Tanks, Public Affairs, Spin Doctors Gerade
in Kriegszeiten verschwimmt die Grenze zwischen Formen der Öffentlichkeitsarbeit
und der Propaganda (verstanden als persuasive Kommunikationsform,
die auf die manipulative Beeinflussung unterschiedlicher Zielgruppen
angelegt ist), Infowar als Doktrin der totalen Informationskontrolle. Medien
und Militär Kriegspropaganda
hat eine lange Tradition Als
ich die rauchigen Straßen durch die winzigen gläsernen
Gucklöcher des Bradley scannte und 'demontierte Iraker' suchte,
wie die Panzerbesatzung die Infanteristen nannte, nahm ich die
Szenerie nicht bloß im Hinblick auf eine Story wahr. Ich
suchte nach Zielen. Die
Welt sah anschauliche Bilder von disziplinierten, gut trainierten
US-Soldaten in Aktion. … Die Medien druckten und übertrugen
die großartige Arbeit der Soldaten der 3ID(M) rund um die
Welt, und dies akkurat und unverblümt. Historische
Berührungspunkte zwischen Militär- und Medientechnik, aber
Gegensätze im demokratischen Auftrag (Geheimhaltung vs. Aufdeckung). Die Öffentlichkeit
verlangt nach möglichst "authentischen" Informationen,
geliefert am besten von neutralen Beobachtern der Lage vor Ort ("Heiliger
Gral" der Kriegsberichterstattung). Massenmedien gelten
als besonders propagandaanfällig: strukturell voreingenommen,
technologisch militarisiert und auch ökonomisch, politisch und
individuell militarisierbar (Dominikowski), "Kriegstrommeln" (Beham). Ursachen im System
der Nachrichtenproduktion: Das
Internet als alternatives Medium Das Netz erfüllt
theoretisch viele der Anforderungen Enzensbergers an ein egalitäres
Medium (dezentralisiert, jeder Empfänger ein potenzieller Sender,
Interaktion und Feedback, Selbstorganisation
und kollektive Produktion). Es gilt als Hort der freien und unzensierten
Meinungsäußerung, Mythos der Unzensierbarkeit "Bürgerpresse" und "Independent
Media Center" Kontrollrevolution
und Disintermediation Wir
leben in einer Zeit, in der viele Autoritätsfiguren ihren
Status verlieren: Gesetzgeber und andere Regierungsvertreter, Berufsjournalisten,
Mittelsmänner im Handel oder Ausbilder. Hierarchien zerfallen.
Gatekeeper werden übergangen. Macht wird an die 'Endnutzer' übertragen. Hybridmedium
(interpersonelle, massenmediale und maschinelle Kommunikationsmöglichkeiten,
erweiterter Informationsraum mit Foren wie Mailinglisten und Weblogs Mailingliste nettime: 1995
von Pit Schultz und Geert Lovink gegründet, europäischer
Gegenspieler zum US-Magazin Wired -- selbsterklärte,
intellektuelle Elite" -- kollektives Textfiltern -- Höhepunkt
während des Kosovo-Kriegs Weblogs
lassen sich beschreiben als Fortsetzung des Logbuchs auf der Raumschiff
Enterprise mit netzspezifischen Mitteln. Warblogs:
Politisierung und wachsende Bekanntheit der Blogs im Zuge des 11.
September. Rechtskonservative
Geister wie Instapundit oder Andrew
Sullivan besetzten das Gebiet. Links
von der Mitte stehende Köpfe wie Sean-Paul Kelley mit dem Agonist oder
Markos Moulitsas Zúniga mit DailyKos verlegten
sich erst Mitte 2002 aufs Bloggen. "Warblogs.cc" als Meta-Blog (Nachrichtenportal
für Kriegsgegner). Spätestens
mit dem Irak-Krieg rückten Warblogs ins Zentrum der Aufmerksamkeit
-- Phänomen wurde bekannt vor allem dank Salam
Pax, dem Bagdader Netzchronisten, durch Journalistenblogs wie
das von CNN-Reporter Kevin Sites oder
bloggende G.I.s wie Sgt. Stryker, Chief
Wiggle oder Lt. Smash-us.com, dem Mann aus der Sandbox (inzwischen "Citizen
Smash"). Die
Blogosphäre als die "zweite
Supermacht" (Jim Moore)? Stellt
sich in den Online-Foren ein diskursiver Mehrwert gegenüber
den traditionellen Massenmedien ein? Probleme:
Rauschen, Information Overload, Geständniszwang (Foucault),
Ekstase der Kommunikation (Baudrillard) Kosovo-Studie Vergleich
von nettime mit anspruchsvollen Tageszeitungen: Süddeutsche
Zeitung ("Stilmittel
Zweifel") und New York Times ("Gewissen der Nation"). Methode:
Integration der quantitativen Inhaltsanalyse (Erschließung
des Untersuchungsgegenstandes) mit den qualitativen Elementen
der Kritischen Diskursanalyse (Verdichtung
des Themenkomplexes auf Kategorien und übergreifende Argumentationsmuster
und -strategien) und der Leseweisenanalyse gemäß des
von Hall geprägten Ansatzes der Cultural Studies (Aufdeckung
von mitgedachten Intentionen und versteckten Machtbeziehungen, Entschlüsseln
eines oppositionellen Codes). Analysezeitraum:
Hochzeit des Kosovo- und des Irak-Kriegs (März bis Juni 1999) Auswahl
von 87 kategoriellen Textmerkmalen von A wie Aktion bis Z wie Zivilopfer,
Verdichtung zu acht Diskurstypen 1.
Rechtfertigungs- und Moralisierungsdiskurs Die Times liegt
im Rechtfertigungsdiskurs weit vorn: Die
Nettimer üben am meisten Kriegskritik: Die
Listenmitglieder sind auch im selbstreflexiven Mediendiskurs führend
und lassen NATO-Akteure so gut wie nicht zu Wort kommen. Die New
York Times punktet mit ihrer großen Bandbreite im Spielerdiskurs,
verfällt aber häufig einer "Hofberichterstattung" aus
dem Pentagon. Gravierende
Ausschläge gibt es bei der Süddeutschen Zeitung in
so gut wie keinem Diskursfeld zu verzeichnen. Sie liegt allein im Unentschiedenheitsdiskurs
vorn. Süddeutsche
Zeitung New
York Times Nettime Fazit
Kosovo: Nettime bildete
während des Kosovo-Kriegs eine wichtige Ergänzung
zu den Kosovo-Diskursen in der New York Times und
in der Süddeutschen
Zeitung. Ansätze
für eine offenere, unterschiedliche Lesarten aushandelnde
und vermischende Medienplattform. Die
von den Listenteilnehmern praktizierte Methode des kollektiven
Textfilterns sorgt für eine weit gespannte Diskursübersicht. Die
Zeitungsredaktionen schöpfen aus einem Pool erfahrener Journalisten,
die über gute Beziehungen zu den "großen Spielern" im
politischen und militärischen Geschäft verfügen
und so immer wieder aufschlussreiche Analysen verfassen und Ereignisse
in Gesamtkomplexe einordnen können. Die großen Zeitungsnamen
ziehen Intellektuelle an, die "exklusiv" Stellungnahmen
abgeben. Nähe
zu den Quellen aber auch prekär: leichtfertigere Übernahme
des Rechtfertigungsdiskurses, häufig
werden anonyme "officials" zitiert, kaum
journalistischer Ehrgeiz zu erkennen, Ereignisse und Verlautbarungen
zu hinterfragen, spektakuläre Falschmeldungen und Nato-Speak. Irak-Studie Salam
Pax berichtet aus der Froschperspektive, statt aus der Vogelperspektive
der fallenden Bomben, Äquivalent zu den serbischen Tagebuchautoren Es
gab Tage, als der Rote Halbmond um Freiwillige bettelte, die helfen
sollten, die Körper der Toten von den Straßen der Stadt
wegzutragen und angemessen zu begraben. Die Hospitale verwandelten
sich in Friedhöfe, sobald der Strom ausfiel, und es gab keine
Möglichkeit, die Leichen aufzubewahren, bis jemand kommt und
sie identifiziert. Schlacht
um die Interpretationshoheit der von der Front und aus den Regierungssitzen
strömenden Informationen zwischen rechten und linken Warbloggern
in den USA: Kampagnen gegen liberale Medien wie die Times oder die BBC
durch konservative Blogger. Die linken Blogger lenken die Augen der
Leser dagegen immer wieder auf Propagandalügen, auf Desinformationen
der offiziellen Seite und der "gleichgeschalteten" Medien,
auf die finanziellen und sozialen Kosten des Kriegs sowie auf Anhaltspunkte
für Sand im Getriebe der amerikanischen Militärmaschine.
Bush steht im Zentrum der Kritik. Ein
besonderer Streich in journalistischer Hinsicht gelang Christopher
Allbritton mit seinem Logbuch Back
to Iraq. Berichtet aus dem Nordirak mit dem guten Gefühl, "dass
ich zum ersten Mal in meiner dreizehnjährigen Zeit als Journalist
eine Berichterstattung mit nur einer einzigen Verantwortung ausüben
kann -- der
gegenüber
den Lesern." Debatte um "Mikro-Journalismus". Fazit
Irak: Zusammengenommen bilden die Warblogger die exakten Gegenspieler
zu den embedded
correspondents. Sie sind nur ihrer eigenen Propagandaschere
im Kopf unterworfen und nur ihren Lesern verpflichtet. Blogging
skizziert eine Welt von Individuen, von Leben und Tod, Leiden und
Verlangen, so wie die eingebettete Berichterstattung eine Welt
militärischer Ziele und Kampagnen, eine Welt von Sieg und
Niederlage malte. In
der Blogosphäre entsteht eine Art "Reality-Web" mit
wachsenden Nutzerzahlen: Pendant
zum Reality-TV -- bloß ohne dessen entstellende Faktoren wie
die grundsätzliche Inszenierung des Gezeigten oder die überzogenen
Show-Effekte. Während das Reality-TV die Wirklichkeit simuliert
und wirklicher als die Wirklichkeit zu sein versucht, lebt das Reality
Web von Stimmen, die eine persönliche Sicht auf die Dinge liefern.
Gezeigt oder beschrieben werden dabei auch die hässlichen Seiten
von Ereignissen, die Toten des Krieges und das Eindringen von sonst
immer weit weg erscheinenden Konflikten in verständliche Kontexte
und in die eigene Lebenswelt. Angesichts
der Tatsache, dass nach wie vor viel mehr Mediennutzer fernsehen,
als im Web persönliche Kriegslogbücher zu studieren, hat
das embedded reporting im Irak-Krieg noch die Marschordnung
des Tages ausgegeben. Resümee Weblogs
und Mailinglisten haben sich als fester Bestandteil des täglichen
Medienmixes informationshungriger Surfer etabliert. Die
Bandbreite der Stimmen, die teils authentisch
aus erster Hand berichten oder die Fülle der Informationen
im Web filtern, hat sich deutlich erhöht. Wer in diese
Infosphäre
eintaucht und sich nur halbwegs auf sie einlässt, dem
wird es schwer fallen, den gerade in Kriegen überhand
nehmenden offiziellen Propagandabemühungen
Glauben zu schenken. Online-Kommunikationsforen schaffen die Möglichkeit,
einen neuen, personalisierten und vernetzten Blick auf die medienvermittelte
Wirklichkeit
und die Alltagsrealität
zu werfen. In
Reinform ist eine kompakte "Gegenöffentlichkeit" auf
den ersten Klick im Netz aber nicht zu finden. Medienkompetenter Nutzer
gefragt. Hindernisse: Zugangsprobleme (digital divide), Zensurbemühungen
und fortschreitende Kommerzialisierungstendenzen.
David
Zucchino (Los Angeles Times) 03.05.2003
Analyse
der 3. (mechanisierten) US-Infanteriedivision
Shapiro
1999
2. Pro-Nato-Diskurs (Vorteil NATO)
3. Anti-Kriegsdiskurs
4. Pro-Serben-Diskurs (Vorteil Serben)
5. Unentschiedenheitsdiskurs
6. Spieler- und Akteursdiskurs
7. Diplomatischer Verhandlungsdiskurs
8. Selbstreflexiver Mediendiskurs
Julie
Hilden im Online-Magazin FindLaw