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Kosovo-Krieg

Es reicht! Das Netz sieht schwarz. Von Stefan Krempl.

Das Internet gilt als perfektes Nachrichtenmedium, das unterschiedlichsten Meinungen eine Plattform bildet. In der über das Web und vor allem Mailinglisten ausgetragenen Propagandaschlacht im Kosovo-Krieg verliert allerdings selbst der Informationsjunkie den Durchblick. Um das Meinungs- und Bilderspektakel zu durchbrechen, soll das Web nun Trauer tragen.

Propaganda ist eine der stärksten Waffen im Krieg. Mit Hilfe bewußt gestreuter Informationen soll der Gegner mürbe und das eigene Lager munter gemacht werden. Zur Verbreitung der Propaganda werden spätestens seit dem Zweiten Weltkrieg die Massenmedien eingesetzt, die "unliebsame" und "unpassende" Nachrichten ausfiltern können. Krieg wird so auch immer schnell zum Psycho-Terror, zum Kampf um die Verbreitung der Information. Doch mit dem Internet wird bekanntlich alles anders. Im Netz hat man Zugang zu ungefilterten Informationen, von allen Seiten und womöglich noch in Echtzeit.

Der Kosovo-Krieg ist in vielerlei Hinsicht Vorläufer einer neuen Generation kriegerischer Auseinandersetzungen: Nicht nur, daß erstmalig eine internationale Organisation einem Land aus "humanitären Gründen" den Krieg erklärt. Nicht nur, daß High-Tech-Waffen und die gezielte, lasergestützte Bombardierung aller Infrastruktureinrichtungen -- von Brücken über Raffinerien bis hin zum Staatsfernsehen -- Serbien in die Knie zwingen sollen. Der Kosovo-Krieg ist gerade deswegen anders als etwa der Golfkrieg, weil zum ersten Mal im attackierten Land wie in den Ländern der Angreifer ein vielleicht noch geringer, aber signifikanter Teil der Bevölkerung Zugang zum Internet und damit Zugang zu schier unendlichen Informationsquellen hat. Allein im Web sind die Sites des serbischen Informationsministeriums (http://www.gov.yu/sszi) nur einen Klick weit entfernt von den "Presse-Briefings" der NATO (http://www.nato.int), reihen sich die "Fakten" (http://www.serbia-info.com) der jugoslawischen Regierung über die Auswirkungen der Bombenabwürfe neben Datenbanken zum Auffinden von Flüchtlingen (http://WWW.Web-Depot.Com/kosovo). Militärische Hintergrundanalysen zum Information War aus den USA (http://www.fas.org/man/dod-101/ops/kosovo.htm) finden sich genauso wie die Luftwaffenmeldungen der Air Force (http://www.af.mil/current/kosovo).

Als das effektivste und am meisten genutzte Informations- und Kommunikationsmedium im Kosovo-Krieg -- den Ausdruck "Killer-Applikation" sollte man in diesem Zusammenhang vielleicht eher vermeiden -- erweist sich aber weniger das Web als vielmehr die meistens schnellere und gezielter zu addressierende Email. Sie dient vor allem zur Personalisierung des Kriegsgeschehens: Betroffenenberichte aus Serbien oder dem Kosovo erwecken den Eindruck der Unmittelbarkeit und der Vertrautheit -- selbst wenn die Nachrichten über Umwege in den Mailboxen der Netzbewohner oder letztlich wieder auf Webseiten landen.

Gleich zu Beginn der NATO-Luftangriffe veröffentlichten etwa mehrere Nachrichtenangebote im Netz wie CNN (http://www.cnn.com/SPECIALS/1998/10/kosovo/email/archive.html) einen elektronischen Briefwechsel zwischen dem 16jährigen albanischen Mädchen Adona und einem High-School-Studenten im Berkeley. In den "Emails aus dem Kosovo" erkundigt sich Adona nicht nur nach dem Wetter in Kalifornien. Sie erklärt nicht nur, warum sie so gut Englisch kann oder weshalb sie ihren moslemischen Glauben nicht praktiziert. Sie berichtet auch über die nächtlichen Übergriffe der serbischen Polizei und die Ängste der Bevölkerung. Sie schreibt: "Wegen der NATO-Sache, weißt Du, da würde ich mir wünschen, daß sie kommen und uns beschützen. Ich weiß selbst gar nicht mehr, wie viele Leute hier getötet werden."

Als die Bomben auf Serbien und andere Teile Jugoslawiens zwei Monate später fallen, verschafft sich eine neue Betroffenengruppe per Email Gehör. Jetzt sind es vor allem die Nacht für Nacht den NATO-Angriffen ausgesetzten Serben, die "live" von den Orten des Geschehens berichten. Viele schreiben zunächst an ihre Verwandten und Bekannten in Übersee, um ihnen unter Vermeidung hoher internationaler Telefonkosten Lebenszeichen zu setzen. Email dient auch als Austausch- und Frühwarnsystem: Serben in Slowenien etwa unterrichten Kontaktpersonen in Belgrad, sobald sie die von Italien aus startenden Jets über sie hinwegdonnern hören. Die Warnungen landen dann auf der Site www.beograd.com -- schneller als die Sirenen in Gang gesetzt werden können. Vor allem Studenten suchen außerdem eine Zuflucht vor den Bomben oft weniger im Keller als vielmehr in Chaträumen, wo sie die Zeit des Angriffs mit Freunden verbringen. Momir Milinovich, ein Jura-Student an der University of Illinois logt sich manchmal mitten in der Nacht ein, um sich ein Bild von der Lage in Serbien zu machen: "Die schreiben Sachen wie: 'Die Bomben fliegen direkt über unsere Köpfe'".

Vielen Serben schien der direkte Kontakt mit Bekannten allerdings nicht auszureichen. Sie fingen an, ihre "Bomben-Tagebücher" und Kriegsberichte in Mailinglisten wie Nettime (http://www.nettime.org/), die vom Linzer Ars Electronica Center (http://www.aec.at) vor Jahren gestartete Osteuropaliste Syndicate zu posten oder starteten -- wie ein Mönch im südlichen Kosovo -- rasch ihre eigenen "Vertriebsmedien". Die Nachricht von jeder Kirche, jeder Brücke und jedem zivilen Haus, das von den Bomben getroffen wurde, erreichte so die Bezieher zahlreicher Listen. Ende März beginnt etwa Vladislava Gordic, eine Assistenzprofessorin der Universität in Novi Sad, ihre täglichen Berichte aus der bombengeplagten Industriestadt als "eines der Millionen ärgerlicher, frustrierter, moralisch und mental zerstörter Opfer der NATO-Bombenattacken" rund um die Welt zu senden. Ihre Emails schickt sie unter dem Namen "Insomnia" -- schlaflos macht sie vor allem die rigorose Zerstörung der Donaubrücken in ihrer Stadt -- beispielsweise an Nettime. Fast wie in einem Roman schreibt die Literaturprofessorin etwa am Karfreitag: "'Sie haben unser Brücke kaputtgemacht, sagte ein Mädchen mit Tränen in den Augen. Die Varadin-Brücke, die Novi Sad mit Petrovaradin und Belgrad verbindet, liegt in den Wassern der Donau wie ein Vogel mit gebrochenen Flügeln."

Doch gleichzeitig wird erste Kritik an den auch von anderen Mailinglistenteilnehmern in täglichen Raten abgesandten "Briefen aus Serbien" laut. Die "Nettimer" sollten endlich einsehen, daß viele der "Augenzeugenberichte" von dem Mitarbeitern des serbischen Informationsministeriums verfaßt würden, meint ein genervtes Listenmitglied. Jedenfalls würden sich die "privaten" Briefe in ihrem Stil und ihrem Inhalt sehr den Propagandanachrichten auf der Webseite der Staatsdiener ähneln. Als "Insomnia" gar damit droht, sich als menschliches Schutzschild auf die verbleibende Donaubrücke zu postieren, fordert der Cyberpunk-Autor Bruce Sterling sie in einem offenen Brief (http://www.nettime.org/nettime.w3archive/199904/msg00062.html) auf, ihre melodramatischen Gesten einzustellen, das Märtyrertum zu verschieben und die Realitäten des von der NATO mit aller Technikmacht geführten Krieges anzuerkennen. Insomnia verstummt.

Die Berichte aus dem brennenden Serbien gehen allerdings unvermindert weiter, genauso wie die "handerlesenen" Links auf Zeitungsmeldungen, die eine ganz andere Kriegsrealität beschreiben. 10 bis 20 Botschaften rund um Kosovo am Tag überströmen allein die Nettime-Liste, die sich eigentlich der Netzkritik verschrieben hat. Obwohl der Moderator sich redliche Mühe gibt, alle Seiten zu Wort kommen zu lassen, wird das "kollaborative Textfiltern", das in Nettimes Signaturdatei eingeschrieben ist, zum Rauschen, in dem sich die Meinungen in ihrer Menge zu einem belanglosen Brei vermischen. Die Unzufriedenheit mit dem Medium selbst wächst: "Da gibt es den 'Wer sagt die Wahrheit'-Faden, den 'Kommt Zeit, kommt Rat'-Faden, den 'Ich wünschte, ich könnte etwas für diese Leute tun'-Faden und schließlich die Metadiskussion darüber, welcher dieser Stränge -- falls überhaupt einer -- überhaupt passend sind", analysiert der Autor Douglas Rushkoff (http://www.nettime.org/nettime.w3archive/199904/msg00085.html). Die einzigen, die aus dieser Kakophonie noch Gewinn ziehen können, seien diejenigen, die das Medium zur Konfusionssteigerung nützen wollten.

Tatsächlich stellt sich angesichts der von allen erdenklichen Kriegsbeteiligten und -analysten ausgelösten Flut an Kosovo-News jeglicher Art, die über jede beliebige, in Friedenszeiten etwa über Kryptographie oder Kinderpornographie diskutierende Mailingliste genauso hereingebrochen ist wie über bekannte Webzines -- sogar das von Microsoft herausgegebene Magazin Slate (http://www.slate.com) veröffentlicht Kriegstagebücher aller Art -- die Frage, die Stärken des Mediums Internet wie weitgehende Unzensiertheit oder Schnelligkeit der Informationsverbreitung nicht pervertieren. "Könnte es sein", fragt Rushkoff, "daß ein richtiger Krieg mit echtem Schmerz und Leid, zeigt, daß das Internet und insbesondere Online-Konversationen keine echten Strategien zur Hilfe anderer Menschen in Gang bringen können?"

Der Information War hat inzwischen die Metadiskussionen in den Listen auf eine neue Ebene geführt. Überall wird der Split diskutiert, die Ausgliederung der Kosovo-Diskussion in gesonderte Foren oder neue Listen, in die sich jeder Interessierte erst neu eintragen muß. Eine allgemeine Ermüdung rund um alle Kriegsthemen macht sich breit, eine eher apathische Haltung angesichts des undurchdringbaren, täglich in die Mailbox strömenden Rauschens. Selbst hartgesottene Netzjunkies bekennen sich offen dazu, inzwischen Filter zu installieren, die Nachrichten mit Schlüsselwörtern wie "Belgrad" oder "Bombe" aussortieren.

Doch nicht alle plädieren für die Bankrotterklärung des Netzes als Aktions- und Diskussionsmittels angesichts der Bomben- und Bilderinflation. Der französische Netzkünstler Valery Grancher will die "Logik des Spektakels" durchbrechen und fordert dazu auf, das Web am ersten Maiwochende aus Solidarität mit den Kriegsopfern in eine virtuelle Klagemauer umzugestalten. Schwarz sollen die Websites werden und einen dunklen Vorhang über die Informationsgewalt legen. Grancher selbst hat seine Homepage (http://www.imaginet.fr/nomemory) bereits verdunkelt. Nun hofft er, daß sich möglichst viele Webdemonstranten an der Kette der schwarzen Bildschirme (http://www.kit.ntnu.no/stud/barcley/war/register.html) beteiligen.

Gekürzte Fassung in Spiegel Online erschienen am 28.4.99