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Software als Kulturgut

Georg C. F. Greve kämpft mit der Free Software Foundation gegen den Raubbau an der Wissensgesellschaft. Interview: Stefan Krempl. Veröffentlicht in: Computerworld Magazin 4/2003

Die Free Software Foundation Europe, die im März 2001 als Schwester des nordamerikanischen Pendants gegründet wurde, hat sich der Unterstützung der Freien Software in allen Bereichen verschrieben. Eine Hauptaktivität ihres Präsidenten, des Hamburgers Georg C. F. Greve, besteht daher in der politischen Aufklärung. Feind der Aktivisten ist die proprietäre Software, die nicht modifizierbar und vom Nutzer nur beschränkt kontrollierbar ist. Ihr unterstellt der studierte Physiker Greve im Gespräch mit Computerworld einen "viralen" Charakter, da sie zur Monopolbildung neige und die offene Netzwerkökonomie verstopfe. Damit dreht er ein Argument von Microsoft-Führungskräften um, die das Herzstück der Freien Software, ihre GNU General Public License, wiederholt als "Krebs" und Krankheitserreger bezeichnet haben.

Herr Greve, auf Ihrer Homepage verfolgen Sie die Philosophie der Freien Software bis zum Heiligen Augustinus ins 4. Jahrhundert zurück. War der Kirchenvater ein verkappter Code-Hacker?

Georg C. F. Greve: Nach dem, was mir erzählt wurde, nicht unbedingt. Doch er gab eine klare Antwort auf die Frage nach dem Umgang mit Wissen. Die Weitergabe von Wissen und Ideen durch Kommunikation gehörte schon immer zu den grundlegenden Bedürfnissen der Menschen. Angefangen bei den ersten Höhlenmalereien und Musikinstrumenten haben Menschen danach gestrebt, sich mitzuteilen und soziale Netze zu knüpfen. Daher auch der Ausspruch von St. Augustinus, der (frei übersetzt) sagte: "Jede Sache, die dadurch, dass man sie weitergibt, nicht verloren geht, wird nicht auf richtige Weise besessen, wenn man sie nur besitzt, aber nicht weitergibt." Das Bemerkenswerte ist, dass hier bereits die Verlustfreiheit dieses Vorgangs eine zentrale Komponente ist. Wissen geht durch die Weitergabe nicht verloren, Lehrer etwa werden durch den Akt der Wissensvermittlung nicht unwissend. Die neue Generation ist vermutlich die Erste in der Geschichte der Menschheit, die mit dem Bild aufgewachsen ist, dass Wissen Eigentum sei, dessen Weitergabe ihr moralisches Äquivalent in einem mit physikalischer Gewalt ausgeführten Überfall ("Raubkopie", "Piraterie") hat.

Sie weisen gern auf Gemeinsamkeiten zwischen den Prinzipien der Freien Software und der Wissenschaft hin. Lässt sich diese These erhärten?

Greve: Wissenschaft beruht auf dem methodischen Arbeiten. Neben einer Objektivierung der Erkenntnis ermöglicht es die Zusammenarbeit vieler Menschen, um in Kooperation weiter zu kommen als jeder für sich allein. Sehr schön hat dies Sir Isaac Newton ausgedrückt, als er sagte: "Wenn ich etwas weiter sah als andere, so deshalb, weil ich auf den Schultern von Riesen stand." Den Vorteil hat die gesamte Gesellschaft. Ebenso funktioniert das Paradigma Freier Software, da es uns bewusst erlaubt, auf dem Stand der Technik aufzubauen und dazu beizutragen. Davon profitieren hinterher alle.

Wie erklären Sie Politikern in Bern, Berlin oder Brüssel, denen Sie als Anwalt des offenen Source-Codes das Phänomen der Freien Software schmackhaft machen sollen, die Vorzüge der "Quellenarbeit"? Die philosophische Argumentation dürfte da ja wenig bewirken.

Greve: Im Bereich der Politik konzentrieren wir uns in der Tat zumeist auf die betriebs- und volkswirtschaftlichen Vorteile Freier Software, sowie die Gewinne an politischer Unabhängigkeit und Handlungsfähigkeit. Der erste Schritt ist zu erklären, dass es bei Freier Software eben nicht "nur um eine Technologie" geht, sondern um ein neues Paradigma im Umgang mit Software. Software hat sehr viel mehr Einfluss auf die Gesellschaft, als allgemein angenommen. Der Zugriff auf Software ist die grundlegende Voraussetzung für wesentliche Teile unserer Wirtschaft, er entscheidet über die Meinungsbildung durch den Zugang zu Informationen und beeinflusst maßgeblich die Möglichkeiten des Einzelnen zu Bildung, Kommunikation und Arbeit. Das macht Software zu einer Kulturtechnik und einem Kulturgut. Bei Freier Software geht es darum, ein neues Paradigma zu etablieren, welches das System in Richtung auf mehr politische Unabhängigkeit, weniger Monopole, mehr Gleichberechtigung, niedrigere Markteintrittsbarrieren, bessere Möglichkeiten der informationellen Selbstbestimmung und eine gestärkte Volkswirtschaft ändert.

Wie funktioniert das Lobbying der FSF Europe konkret? Die Organisation hat ja vermutlich nicht das Personal und die Mittel, um den politischen Entscheidungsträgern in Brüssel und den Nationalstaaten ständig gewiefte Lobbyexperten auf den Schoß zu setzen?

Greve: Unsere Mittel sind in der Tat bescheiden -- vor allem im Vergleich mit Interessengruppen, denen an einer Ausweitung der intellektuellen Kontrollrechte gelegen ist. Daher bemühen wir uns, an den wichtigen Stellen Impulse zu setzen. Das kann die Teilnahme an einer Konferenz, einer Kommission oder auch das Schreiben eines Artikels sein. Außerdem gibt es auch Leute innerhalb der Institutionen, die die Vorteile Freier Software erkannt haben und die wir mit "Munition" ausstatten. Leider ist die Bedeutung dieser Arbeit schwer zu vermitteln, zumal sie langsam wirkt und eine recht hohe Frustrationstoleranz erfordert. Dabei ist sie so wichtig wie nie zuvor, bildet sie doch das Gegengewicht zur proprietären Software- und Medienindustrie, die dabei ist, sämtliche Claims der Wissensgesellschaft für sich abzustecken und dabei einen beträchtlichen Flurschaden anrichtet. Gegen diesen Raubbau am intellektuellen Fundament der künftigen Generationen arbeiten wir mit dem Ziel, ein wirtschaftlich wie sozial verträglicheres System zu etablieren.

Warum macht sich die FSF just so sehr für den Einzug von Linux und Co. in die öffentlichen Verwaltungen stark?

Greve: Das Paradigma proprietärer Software hat eine stark monopolisierende Tendenz. Dies leitet sich davon ab, dass üblicherweise Produkte eines Herstellers nur mit sich selbst gut funktionieren. Sind nun zwei Menschen darauf angewiesen, miteinander zu arbeiten oder zu kooperieren, müssen sie zumeist dasselbe Produkt desselben Herstellers benutzen. Theoretisch bieten offene Standards zwar einen Ausweg. Praktisch zeigt sich jedoch, dass dies kaum funktioniert. Die Versuchung, offene Standards zu "verbessern" ist offensichtlich zu groß für proprietäre Softwarehersteller. So ist dann nur noch die Migration zu dessen Produkt möglich.

Der berühmte Lock-in-Effekt?

Greve: Genau. Dieser "virale" Effekt proprietärer Software ist der Grund dafür, dass das proprietäre Paradigma eine sehr stark monopolisierende Tendenz aufweist. Besonders schwierig wird es, wenn die öffentliche Hand auf proprietäre Software setzt, da sie schnell Gefahr läuft, so Monopolen Vorschub zu leisten. Bei konsequentem Einsatz Freier Software wird dies vermieden und auch die politische wie wirtschaftliche Unabhängigkeit der Regierung gestützt. Außerdem geht davon eine gewisse Akzeptanz aus, die speziell im Wirtschaftsumfeld wichtig ist und es den Unternehmen eines Landes leichter macht, mit und durch Freie Software wirtschaftlich erfolgreich zu sein.

Was sehen Sie als die Höhepunkte Ihres lobbyistischen Schaffens an? Was haben Sie in den vergangenen zwei Jahren seit der Gründung der Plattform erreicht?

Greve: Seit der Gründung der FSF Europe Anfang 2001 konnten wir bereits einige Erfolge verbuchen. So waren wir zu Gesprächen und Vorträgen von Tokio bis nach Washington im Einsatz. Unsere Teilnahme am Vorbereitungstreffen für den Weltgipfel zur Informationsgesellschaft (WSIS) im Juli 2003 in Paris erfolgte als Teil der deutschen Regierungsdelegation. Andere Beispiele sind die Commission on Intellectual Property Rights der britischen Regierung, zu deren Expertenworkshop ich eingeladen war und die als Ergebnis den Entwicklungsländern den Blick auf Freie Software empfahl. Auch im Rahmen der Europäischen Kommission waren wir aktiv. So gelang es uns etwa, im Gebiet der Information Society Technologies (IST) eine generelle Aussage zugunsten Freier Software unterzubringen, die Projekten Freier Software einen Evaluationsbonus bei der Vergabe der Fördergelder gibt.

Ist der Kampf gegen einen Milliardenkonzern wie Microsoft, der stellvertretend für die Welt des geschlossenen, proprietären Quellcodes steht, nicht trotzdem oft frustrierend?

Greve: Zunächst einmal kämpfen wir nicht gegen Microsoft, auch wenn die Firma das manchmal anders zu sehen scheint. Das Monopol, das Microsoft innehat, ist das zu erwartende Ergebnis eines auf proprietärer Software aufgebauten Systems. Wäre es nicht Microsoft, wäre es jemand anders. Natürlich hat der aktuelle Inhaber des Monopols mehr zu verlieren als Andere und wehrt sich dementsprechend heftiger, doch ist uns nicht daran gelegen, ein Monopol gegen ein Anderes zu ersetzen. Wir möchten das System dahingehend ändern, dass es weniger Tendenzen zur Monopolisierung gibt. Dabei sind wir bereit, auch Microsoft auf dem Weg zu Freier Software zu unterstützen -- obwohl es vermutlich noch dauern wird, bis Microsoft diesen Schritt unternimmt.

Die FSF Europe hat sich gegen die Einführung von Softwarepatenten ausgesprochen – die Haltung der EU-Kommission und von Teilen des Europaparlaments weist aber in die entgegen gesetzte Richtung. Zeigen sich hier die Grenzen des Lobbyings im Namen der Freien Softwareentwickler?

Greve: Softwarepatente schaden der Freien Software extrem, sind aber nicht eine ausschließliche Frage der Freien Software. Tatsächlich geht es hier eher um Belange kleiner und mittelständischer Unternehmen. Diese mögen in Europa den größten Teil des Bruttosozialproduktes erwirtschaften, haben aber praktisch kaum politisches Gewicht. Es sind vor allem Organisationen wie die amerikanische Business Software Alliance (BSA), die zugunsten von Softwarepatenten arbeiten. Dass die BSA kein einziges europäisches Mitglied hat, macht diesen Umstand besonders pikant. Bei einer Umfrage der Europäischen Kommission zum Thema äußerte sich die Mehrheit der europäischen Unternehmen übrigens klar kritisch zu Softwarepatenten. Die Auswerter der Studie haben sich im Nachhinein dennoch für Softwarepatente ausgesprochen, nachdem die Stimmen entsprechend des Finanzvolumens der Unternehmen gewichtet wurden.

Wie sich schwammige Patentansprüche gegen die Community einsetzen lassen, zeigt der heftige Streit zwischen SCO und der Linux-Welt. Ist das ein Ausblick auf kommende Schlachtfelder oder der Nachhall eines im Sterben liegenden Softwareverständnisses?

Greve: Die SCO-Auseinandersetzung ist der Todeskampf einer Firma, die bereits seit Jahren kein klares Konzept und keine innovative Kraft mehr hat. Daher versuchen sie, mit solchen Manövern eine Übernahme zu erreichen oder zumindest den Aktienkurs kurzfristig in die Höhe zu treiben. Obwohl SCO selber Freie Software vertrieben hat, hat das Management sie offensichtlich nie verstanden. Insofern zeigt sich hier, dass es nicht reicht, sich Freie Software auf die Fahnen zu schreiben, ohne sie auch in ihren Grundlagen zu durchdringen. Bei SCO saß man aller Wahrscheinlichkeit der irrigen Ansicht auf, es handele sich bei GNU/Linux nur um ein neues Betriebssystem.

Momentan wird in vielen europäischen Ländern die umstrittene Urheberrechtsrichtlinie aus Brüssel umgesetzt. Wo liegen hier und in der geplanten Verschärfung des Paragraphenwerks die Gefahren für die Freie Software?

Greve: Die Gefahren der European Copyright Directive (EUCD) sind nicht auf Freie Software beschränkt, treten dort aber besonders deutlich zutage. Die Strafbarmachung der "Umgehung technischer Schutzmaßnahmen" bedeutet die teilweise Umwandlung der Demokratie in eine Technokratie. Sie erlaubt es, Barrieren im öffentlichen Raum zu schaffen, deren Überschreitung strafbar ist. So hat beispielsweise Scientology die entsprechende Gesetzgebung in den Vereinigten Staaten, den Digital Millennium Copyright Act (DMCA), erfolgreich zur Zensur eingesetzt. Ein anderes Beispiel ist das des norwegischen Teenagers Jon Johansen, der wegen Verletzung des DMCA angeklagt wurde: er hatte die Möglichkeit geschaffen, regulär gekaufte DVDs auch unter GNU/Linux abzuspielen. Das eigentliche Ziel von DMCA und EUCD ist es, die Auseinandersetzung mit Software selbst dann strafbar zu machen, wenn diese völlig legal ist. Es geht um die Implementierun eines Digitalen Restriktionsmanagements (DRM), von dem sich die Plattenindustrie die Lösung ihrer internen Strukturkrise verspricht. Erforderlich ist dafür die totale Überwachung des Nutzers. Das verträgt sich naturgemäß nicht mit Freier Software, die darauf ausgelegt ist, dem Nutzer die Freiheit der Kontrolle über seine informationelle Umgebung zu geben.

Sie haben im Februar das Fiduciary Licence Agreement (FLA) veröffentlicht. Was genau ist das und wer profitiert davon?

Greve: Die Treuhänderische Lizenzvereinbarung (FLA) erlaubt es Autoren Freier Software, die FSF Europe oder eine andere Organisation zum Treuhänder ihrer Rechte zu machen. Dadurch kann die FSF Europe die langfristige juristische Wartbarkeit und Sicherheit Freier Software gewährleisten und zudem die Autoren vor einem Teil des juristischen Risikos schützen. Die FSF Nordamerika macht dies bereits seit einiger Zeit für das GNU-Projekt und das hat sich gerade auch im SCO-Fall von unschätzbarem Wert erwiesen. Nicht umsonst konzentrieren sich alle Angriffe von SCO ausschließlich auf den Linux-Kernel des GNU/Linux-Systems, denn dort wurden solche Vorkehrungen nicht getroffen. Nutznießer des FLA sind also die Autoren und Nutzer Freier Software, vor allem auch die kommerziellen Nutzer, die auf eine entsprechende Rechtssicherheit angewiesen sind.

Im Dezember steht der World Summit on the Information Society in Genf an, auf dem im internationalen Rahmen die Weichen für die vernetzte Gesellschaft gestellt werden sollen. Die FSF Europe vertritt dabei mit die Interessen der Netzbürger. Haben Sie ein gutes Gefühl oder werden sich die großen Konzerne hier ähnlich wie in der World Intellectual Property Organization (WIPO) durchsetzen?

Greve: Tatsächlich steht dies zu befürchten. Momentan tun viele so, als ob der WSIS der falsche Ort sei, um die Rechte an der Informationsgesellschaft zu diskutieren. Dies solle man lieber innerhalb der WIPO tun, heißt es. Dazu kommen Probleme mit Regierungen, die sich gegen diese Diskussion mit dem Argument wehren, sie sei Aufgabe einer Menschenrechtskommission. Dass Informationstechnologie auch dazu eingesetzt werden kann, bestehende Menschrechte de facto außer Kraft zu setzen, fällt schnell unter den Tisch.

Was ist nötig, um Software als "Kulturgut" stärker ins öffentliche Bewusstsein zu hieven?

Greve: Zunächst einmal ist es wichtig, dass Menschen beginnen, zu verstehen, wie sehr Software bereits in das tägliche Leben eingedrungen ist. Im Zweifelsfall müsste dies auch an Schulen und Universitäten behandelt werden. Grundkenntnisse im Programmieren wären hilfreich dabei, die Möglichkeiten der Informationstechnologie zu verstehen. Das Wissen um grundlegende Zusammenhänge und die Existenz bestimmter Fragen und Gefahren dürfte unverzichtbar sein. Teil des Problems ist, dass diese Fragen in den Medien üblicherweise im Technik- oder Wissenschaftsteil behandelt werden, obwohl sie eher in den politischen Teil und oder ins Feuilleton gehören.

Kann die freie Softwaregemeinde heute bereits mit ausreichenden Alternativen zur proprietären Softwareentwicklung aufwarten?

Greve: Ja, alle Standardprobleme lassen sich ebenso gut oder sogar besser lösen. Speziell bei den vernetzten Aktivitäten hat Freie Software klar die Nase vorn – der größte Teil des Internet basiert darauf. Mittlerweile lässt sich sagen, dass GNU/Linux nicht mehr schwerer zu bedienen ist als beispielsweise Windows. Allerdings sollten Umsteiger die Bereitschaft mitbringen, sich mit etwas Neuem auseinanderzusetzen. Die Ausnahme bilden im Moment noch einige branchenspezifische Lösungen, die häufig auf Windows maßgeschneidert wurden. Doch auch hier lassen sich in der Praxis oft Lösungen finden und es zeigt sich, dass diese Lücken zunehmend geschlossen werden.

Monopole wie Microsoft erleichtern Anwendern häufig das Arbeiten mit dem Computer, etwa durch die raschere Etablierung von Standards. Ist das wirklich immer nur schlecht für den (Dumm-)Nutzer, der selbst mit dem Quellcode gar nichts anfangen kann?

Greve: Im professionellen Bereich gelten andere Kriterien und Maßstäbe, doch begegnet man dieser Frage gelegentlich im Bereich der Privatanwender. Allerdings erweist sich die Annahme bei Licht betrachtet als auf Sand gebaut. Zu den wesentlichen Eigenschaften des proprietären Software-Paradigmas gehört die Notwendigkeit von erzwungenen Updates. Diese erfordern von den Nutzern zum Teil eine wesentliche Umstellung und es wird oft bewusst die Kompatibilität zu alten Versionen aufgegeben. Dazu kommt, dass der Preis für diese scheinbare Standardisierung recht hoch ist und die Frage nach dem Sourcecode dafür sekundär ist. Vom gesellschaftlichen Standpunkt zentral ist die persönliche informationelle Freiheit und Selbstbestimmung des Nutzers.

Was entgegen Sie Kritikern, die der FSF einen Hang zum Dogmatismus vorwerfen? Wäre es manchmal nicht sinnvoller, statt auf Begriffen wie "Freier Software" statt "Open Source" oder "GNU/Linux" herumzureiten, pragmatischer vorzugehen?

Greve: Leider scheint es, dass heutzutage "pragmatisch" oft als Synonym für kurzsichtig herhalten muss. Das halte ich für problematisch. Die Free Software Foundation hat sich immer um langfristige Perspektiven bemüht und ist zumeist außerordentlich pragmatisch vorgegangen. Ein gutes Beispiel ist die GNU General Public License (GPL), die meistverwandte Lizenz Freier Software, die von der FSF herausgegeben, gewartet und geschützt wird. Diese Lizenz ist sehr bewusst so geschrieben, dass sie die maximale Freiheit der Mehrheit schützt -- unter der Annahme, dass manche Menschen sich egoistisch verhalten. Sie funktioniert ausgezeichnet in einer rein pragmatischen Welt. Deswegen setzen sie Unternehmen wie IBM ein. Was die Begriff angeht, so zeigt die Erfahrung, dass diese die Art und Weise beeinflussen, wie Menschen denken. "Open Source" wurde 1998 als Marketingbegriff für Freie Software vorgeschlagen. Die Erfahrung hat jedoch gezeigt, dass er speziell bei Nicht-Entwicklern den wahren Inhalt, die Freiheit, nicht vermittelt. Dazu kommt, dass der Begriff sich als anfällig für Missbrauch und inflationäre Verwendung erwiesen hat. Pragmatismus kann auch bedeuten, einen Marketingversuch aufzugeben, wenn klar wird, dass er mehr schadet als nutzt.