Software-Entwickler, der Mittelstand und Verfechter offener digitaler Infrastrukturen
sind erzürnt über den im
Rat der Europäischen Union abgestimmten
Vorschlag für eine Richtlinie über
die Patentierbarkeit "computerimplementierter Erfindungen". Nicht
nur inhaltlich bringt sie das Papier in Rage, da es seinen Kritikern zufolge
einer weiteren Flut trivialer Patente im Softwarebereich wie auf den legendären
Fortschrittsbalken oder auf zahlreiche Funktionen von Webshops keinerlei
Steine in den Weg legt. Auch der Zickzackkurs der
Bundesregierung vor und während der Entscheidung in Brüssel
hat für Unruhe gesorgt. Im Bundestag fühlen sich Politiker insbesondere
der FDP und der
SPD getäuscht.
Um
die Position des Justizministeriums zu Softwarepatenten zu erläutern,
stand die Hausherrin Brigitte Zypries (SPD) jüngst für ein Interview
bereit. Es entstand im Rahmen eines Artikels für die c't,
in dem die noch verbliebenen offenen Fragen rund um die Richtlinie sowie
die unterschiedlichen
Lesarten des Papiers, das vom bislang
anders urteilenden Europaparlament noch einmal diskutiert werden muss, thematisiert werden.
Denn vor allem Ansätze zur Qualitätskontrolle bei der Erteilung
von Softwarepatenten -- etwa über eine strikte Definition von Technizität
-- fehlen in der Direktive in der Fassung des EU-Rates. Ein Info-Kasten
mit Schlüsselpassagen der Richtlinie findet sich am Ende des Interviews.
Stefan
Krempl: "Wir sind in der Sache inhaltlich am nächsten bei Ihnen",
hieß es
aus Ihrem Hause jüngst in Richtung der entschiedenen Softwarepatentgegner
vom Förderverein
für eine freie informationelle Infrastruktur (FFII).
Was bedeutet das konkret in der Haltung des Justizministeriums zu der
umstrittenen Patentierbarkeit "computerimplementierter Erfindungen"?
Brigitte Zypries:
Die Bundesregierung hat sich im Rat immer für eine
klare Begrenzung der Patentierung computerimplementierter Erfindungen
eingesetzt -- und stand mit einigen Forderungen bis zuletzt fast allein.
Konkret bedeutet
das, dass sich die Bundesregierung für eine Verbesserung von
Artikel 2b des Richtlinienentwurfs einsetzt. Hier haben wir mittlerweile
erreicht,
dass für den technischen Beitrag eine eigene Neuheitsprüfung
eingeführt
wird. Auch die Streichung des Erwägungsgrundes 13 konnten wir
erreichen und die Gedanken des Erwägungsgrundes 7a stehen nun
ausdrücklich
im Richtlinientext. Dies alles sind Verbesserungen, die den Anliegen
des FFII sehr nahe stehen.
Krempl: Es gibt aber anscheinend unterschiedliche
Auffassungen
schon bei der Grunddefinition, was Software überhaupt ist und
inwieweit die darin ent-haltenen Ideen im Bezug zur Technik schützbar
sind.
Zypries: Es geht weniger um die Frage, was Software überhaupt
ist. Entscheidend ist vielmehr, ob es sich um eine Erfindung handelt.
Patente sind für
Erfindungen auf allen Gebieten der Technik zu erteilen, sofern
sie neu sind, auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhen und
gewerblich anwendbar sind. Dass eine Erfindung auch mit Hilfe von
Software realisierbar ist, schließt
sie noch nicht von der Patentierbarkeit aus. Grundsätzlich
ist ja vorstellbar, dass eine Erfindung über Software -- in
der Regel über ein im Rechner
ausgeführtes Computerprogramm -- oder auch über Hardware,
z.B. über
Logikschaltungen, realisiert wird. Patentiert wird die Erfindung,
zunächst
unabhängig von ihrer Realisierungsform.
Krempl: Halten Sie
es für
ausreichend für die Erteilung eines Patents, das ein Programm
nur auf einem Computer läuft und diese ihm naturgemäß anhaftende
Eigenschaft bereits den erforderlichen technischen Beitrag darstellen
soll?
Zypries: Nein. Sowohl nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes
wie auch der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamtes
reicht dies schon jetzt nicht aus. Darauf weist auch der Richtlinienentwurf
an verschiedenen
Stellen hin, z.B. in Art. 4a. Dies ist unter allen Delegationen
im Rat unstrittig.
Krempl: Reicht die Definition von Technizität
in der vom EU-Rat überarbeiteten
Version der Softwarepatentrichtlinie aus?
Zypries: Die vorgeschlagene Regelung ist inhaltlich im
Sinne der Richtlinie zu interpretieren, wobei auch die einschlägigen,
durchaus restriktiven Erwägungsgründe des Entwurfs
zu berücksichtigen sind. Auf
Druck Deutschlands ist bereits eine eigenständige Neuheitsprüfung
für den technischen Beitrag aufgenommen worden. Im Ergebnis
reicht die Definition in der vorliegenden Fassung des Richtlinienentwurfs
dann aus.
Damit sind aber weitere Verbesserungen keineswegs ausgeschlossen,
da dadurch Präzision und Transparenz erhöht und der
Rechtsprechung noch präzisere
Vorgaben gegeben werden können.
Krempl: Wo liegen dann die Grenzen
der Patentierbarkeit?
Zypries: Sicher ist es nicht möglich, hier alle möglichen Fälle
aufzulisten. Die Grenze der Patentierbarkeit ist aber in den Fällen überschritten,
in denen eine Erfindung sich eines Computerprogramms bedient, dabei aber über
die normalen physikalischen Interaktionen zwischen einem Programm und dem
Computer hinaus keine technischen Wirkungen erzeugt werden. Dieser Gedanke
ist in Artikel 4a des Richtlinienentwurfs festgeschrieben. Ein anderer Fall
ist die Unzulässigkeit der Patentierung von Geschäftsmethoden.Krempl:
Wie steht Ihr Haus zu den umstrittenen Programmansprüchen,
die in der Richtlinienfassung des EU-Rats in Artikel 5 Absatz
2 festgeschrieben
werden?
Zypries: Deutschland unterstützt Artikel 5 Abs. 2 des Entwurfs. Diese
Regelung dient allein der besseren Verteidigung des Patentrechts
gegen Verletzungen. Es handelt sich um den Fall der von der Rechtsprechung
bereits entwickelten
Computerprogrammproduktansprüche. Durch die Regelung des
Art. 5 Abs. 2 wird der Schutzbereich nicht erweitert, sondern
das aufgrund der allgemeinen
Regelungen entstandene Patentrecht nur leichter durchsetzbar.
Krempl:
Ein zweiter Knackpunkt ist die Frage der Interoperabilität.
Reicht hier ein allgemeiner Hinweis auf das Wettbewerbsrecht?
Zypries: Die Gewährleistung der Interoperabilität war für
uns von Anfang an sehr wichtig. Hier wurden deutliche Verbesserungen
erreicht. Übrigens,
nicht nur das Wettbewerbsrecht setzt hier einer Marktbeherrschung
klare Grenzen. Auch Artikel 6 des Richtlinienentwurfs sorgt dafür, dass
Interoperabilität
gewährleistet ist. Der Kommission werden ferner umfangreiche
Pflichten zur Beobachtung des Marktes auferlegt, sodass eventuelle
Fehlentwicklungen
rasch abgestellt werden können.
Krempl: Das Justizministerium
fordert eine Qualitätsoffensive beim Europäischen
Patentamt, damit nicht weitere Trivialpatente durchrutschen.
Welche bereits gewährten Schutzansprüche
hat das Justizministerium vor allem auf dem Kieker? Können
Sie Beispiele nennen?
Zypries: Ich möchte hier niemanden öffentlich an den Pranger stellen.
Qualität ist immer Voraussetzung für Patentschutz, nicht umsonst
gibt es ja das Kriterium der erfinderischen Tätigkeit. Ein sehr wichtiges
Instrument der Qualitätskontrolle wird häufig vergessen, nämlich
der Einspruch gegen eine Patenterteilung, die man für trivial oder sonst
wie für fehlerhaft hält. In Deutschland und beim EPA kann jedermann
Einspruch gegen erteilte Patente einlegen oder -- nach Ablauf der Einspruchsfrist
-- Nichtigkeitsklage. Ich freue mich deshalb, dass z.B. in dem Beispielsfall
des in der Öffentlichkeit breit diskutierten so genannten "One
Click"-Geschenkpatents Einspruch eingelegt wurde. Auf das Ergebnis bin
ich sehr gespannt.
Krempl: Welche Mechanismen sind denkbar, um derartige Fehlentwicklungen
und die von allen nicht gewollten amerikanischen Verhältnisse
im Patentwesen konsequent zu verhindern?
Zypries: Amerikanische Verhältnisse verhindern wir bereits dadurch,
dass die Richtlinie an der bisherigen Rechtslage festhält,
nur Erfindungen auf einem Gebiet der Technik zu erlauben.
Diese Voraussetzung der so genannten
Technizität der Erfindung wird in den Vereinigten
Staaten nicht verlangt. Aus diesem Grunde sind dort z.B.
Geschäftsmethoden patentierbar. Dies
schließt die Richtlinie ausdrücklich aus. Unabhängig
von der rechtlichen Regelung ist aber auch eine Wiederbesinnung
auf die Bedeutung
der Erfindungshöhe in der Prüfungspraxis von
großer Bedeutung.
Und nicht zu vergessen - die bei uns jedermann offenstehende
Möglichkeit
des relativ preiswerten Einspruchs gibt es in den Vereinigten
Staaten nicht. Diese Qualitätskontrolle fällt
dort aus.
Krempl: Der FFII hat eine Testsuite für
die Grenzen der Patentierbarkeit aufgestellt. Decken sich
die dort aufgestellten Umschreibungen technische Erfindungen
mit den Maßstäben
und Vorstellungen des Justizministeriums?
Zypries: Wir orientieren uns an den im Patentgesetz vorgesehenen
und von der Rechtsprechung weiterentwickelten Kriterien
wie z.B. ausführbare
technische Lehre, gewerbliche Anwendbarkeit, Neuheit
und Erfindungshöhe,
jeweils nach dem Verständnis des im Einzelfall festzulegenden
Durchschnittsfachmanns. Dabei kann es natürlich
-- wie auch sonst in der Justiz -- durchaus zu unterschiedlichen
Bewertungen durch verschiedene Spruchkörper kommen,
so auch bei der Testsuite.
Krempl: Die Softwareindustrie
boomt und viele Kritiker sehen das Urheberrecht für
den Schutz von Programmen als ausreichend an. Wozu braucht
es da überhaupt eine EU-Richtlinie?
Zypries: Das Urheberrecht ist ein für den Schutz von Computerprogrammen
geeignetes Recht. Unabhängig von der recht langen
Schutzdauer von 70 Jahren hat das Urheberrecht den
Nachtteil, dass es relativ leicht zu umgehen
ist. Schon eine Neuschreibung des Programms in veränderter
Form kann bereits eine nach dem Urheberrecht schutzfähige
individuelle geistige Schöpfung sein. Das Patentrecht
schützt dem gegenüber auch
vor so genannten äquivalenten Verletzungen des
Schutzrechtes, wenn also die geschützte Erfindung
in anderer Form, aber mit demselben Ergebnis nachgebaut
wird, z.B. mit Nieten statt mit Schrauben. Umfasst
der Schutzbereich
einer patentierten Erfindung auch ein Computerprogramm,
so ist der Inhaber insoweit also stärker geschützt
als durch das Urheberrecht. Beide Schutzrechte bestehen
unabhängig nebeneinander und können sich
je nach Einzelfall auch überschneiden. Geht es
allerdings um die Patentierung von Computerprogrammen
als solche, die patentrechtlich gerade nicht zulässig
ist, bleibt es allein beim Schutz durch das Urheberrecht.
Die Richtlinie ist schon deshalb dringend erforderlich,
um die rechtliche Situation in den
Mitgliedstaaten der Europäischen Union zu harmonisieren.
Derzeit zeigen sich deutliche Unterschiede in der Rechtspraxis
der einzelnen Mitgliedstaaten.
Erst mit einer Harmonisierung wird die Einheit im Binnenmarkt
hergestellt und kann durch den Europäischen Gerichtshof
auch überwacht werden.
Krempl:
Verbirgt sich hinter dem Stichwort Harmonisierung nicht
nur die doch eigentlich unerwünschte Amerikanisierung
des Europäischen Patentrechts?
Zypries: Nein, gerade nicht. Die Richtlinie sagt ausdrücklich:
Keine Patentierung von Geschäftsmethoden. Die Richtlinie bestätigt
auch das unabdingbare Erfordernis der Technizität, das in den Vereinigten
Staaten gerade nicht gefordert wird. Die Richtlinie
baut eine erheblich höhere
Schwelle für die Patentierung auf, als dies
in den Vereinigten Staaten der Fall ist. Hinzu kommt
die bereits erwähnte Möglichkeit des
Einspruchs von jedermann gegen fehlerhaft erteilte
Patente.
Info: Schlüsselpassagen
und Stilblüten aus der Softwarepatent-Richtlinie
des EU-Rates
Erwägungsgrund 12:
Eine computerimplementierte Erfindung erfüllt
folglich trotz der Tatsache, dass sie einem Gebiet
der Technik zugerechnet wird, sofern sie keinen technischen
Beitrag zum Stand der Technik leistet,
z.B. weil dem besonderen Beitrag die Technizität
fehlt, nicht das Kriterium der erfinderischen Tätigkeit
und ist somit nicht patentierbar.
Erwägungsgrund 13c:
Außerdem ist ein Algorithmus
von Natur aus nichttechnischer Art und kann deshalb keine technische Erfindung
darstellen.
Allerdings kann eine Me-thode, die die Benutzung eines Algorithmus umfasst,
unter der Vorausset-zung
patentierbar sein, dass die Methode zur Lösung
eines technischen Problems angewandt wird. Allerdings
würde ein für eine derartige Methode
gewährtes Patent kein Monopol auf den Algorithmus
selbst oder seine An-wendung in einem von dem Patent
nicht betroffenen
Kontext
verleihen.
Artikel 2 b): "Technischer Beitrag" ist ein Beitrag zum Stand
der Technik auf einem Gebiet der Technologie, der neu und für eine fachkundige
Person nicht nahe liegend ist. Bei der Ermittlung
des technischen Beitrags wird beurteilt, inwieweit sich der Gegenstand des
Patentanspruchs in seiner
Gesamtheit, der technische Merkmale umfassen
muss, die ihrerseits mit nichttechnischen Merkmalen versehen sein können,
vom Stand der Technik abhebt.
Artikel 5 Absatz 2 [Einführung von Programmansprüchen]: Ein Patentan-spruch
auf ein Computerprogramm, sei es auf das Programm
allein oder auf ein auf einem Datenträger vorliegendes Programm, ist
nur zulässig, insoweit
das Programm, wenn es auf einem Computer, auf
einem programmierten Computernetz oder einer sonstigen programmierbaren Vorrichtung
installiert und ausgeführt
wird, einen in derselben Patentanmeldung erhobenen
Erzeugnis- oder Verfahrensanspruch gemäß Absatz 1 begründet.
Die gesamte Richtlinie (Version
des EU-Rates) steht online zur Verfügung.