texte -- publications

 

Apple und Microsoft: Der Sündenfall im kalifornischen Paradiesgarten

Langfassung eines Beitrags für "Kultur aktuell" im Deutschlandfunk am 17.8.97

von Stefan Krempl

Die Computerindustrie entlang der Westküste der Vereinigten Staaten ist immer für Gerüchte, Mauscheleien und bühnenreife Dramen gut. Als Produzent der führenden Zukunftstechnologie schlechthin stellt sie einen heißumkämpften Markt dar, liefert sie einen Schauplatz, auf dem täglich Schweiß, Blut und Tränen in rauhen Mengen fließen. Lebensechter noch als im nahen Hollywood werden von Silicon Valley bis hoch zum Lake Washington täglich Allianzen neu geknüpft und genauso schnell wieder verraten, werden Intrigen ausgeheckt, gegen die J.R. Ewing wie ein Schauspielschüler aussieht. Geht es doch um ganz reale Milliardenumsätze mit dem virtuellen Business, um lukrative Firmenbeteiligungen, ja letztlich um das Heil der Menschheit, das die beteiligten Unternehmen seit langem den Kunden durch ihre Produkte aus Sand, Plastik und Elektroleitern sowie der dazugehörigen Software programmatisch versprechen. Doch das hehre Drama um den schnellsten Computer und die schönste Oberfläche droht nun zur Farce zu werden: die zu Hauptkonkurrenten im Kampf um Digitalien stilisierten Computerunternehmen, der böse Riese Microsoft und der liebenswürdige Zwerg mit dem bunten, aber bissigen Apfel, scheinen ihr Kriegsbeil endgültig weggepackt zu haben. Das Spiel ist aus ­ aber sage nur noch einer, daß der Bessere immer gewinne.

Es passierte auf der Bostoner MacWorld: Ganz nebenbei erklärte der von vielen Mac-Anhängern als Heilsbringer begrüßte David ­ mit bürgerlichem Namen Steve Jobs ­, daß die (Daten-) Schleuder begraben und ein "Geschenk" in Höhe von 150 Millionen Dollar von Goliath Gates dankend angenommen werde: "Bill, thank you. The world's a better place" so die ergreifenden Worte des "Hochverräters". Na und? könnte da so mancher Unbefangene fragen, denn was sind schon die paar Millionen für einen bald 30 Milliarden schweren Softwarekönig, der nach den Gesetzen der Ethik eh verpflichtet sein sollte, seinen Reichtum mit anderen zu teilen. Außerdem: Ist es nicht logisch, daß eine Firma, die seit Jahren Verlust macht, einen Manager nach dem anderen verschleißt und kurz vor dem Bankrott steht, daß ein solches Himmelfahrts-Unternehmen von jedem Spender eine Unterstützung annimmt? Schließlich geht es ja um eine Firma, die Computergeschichte geschrieben hat, die schon zu Zeiten, als Bill Gates noch mit dem Joystick hantierte, bereits ihre Fangemeinde mit der Möglichkeit erfreute, wertlose Daten in einer echt amerikanischen "Mülltonne" entsorgen zu können. Warum sollte eine Firma mit einem derart kreativen Potential also nicht alles, aber auch wirklich alles tun, um weiter zu existieren?

Jeder würde diese Frage in jedem anderen Fall als eine rein rhetorische betrachten. Doch es geht hier nicht um T-Shirts oder Sweaters, sondern um Äpfel und DOSen, um einen Glaubenskrieg zwischen zwei Systemen, der den Kalten Krieg zwischen Kapitalismus und Kommunismus ­ zumindest in den Augen der Streiter ­ bei weitem und seit jeher an Heftigkeit und Prinzipientreue übertroffen hat. Der Kampf wurde nicht nur von den Unternehmen selbst, sondern auch von den Anwendern ausgetragen. Es war ein Kampf auf Leben und Tod, eine Schlacht zwischen verwöhnten Ästhetikliebhabern auf der einen, und pragmatisch ausgerichteten Masochisten auf der anderen Seite. Es war ein Kreuzzug zwischen sinnlichen plug-and-play-Katholiken und schicksalsgebeutelten do-it-yourself-Protestanten, wie Umberto Eco noch zu DOS-Zeiten philosophiert hatte. Denn auch nach der im wahrsten Sinne des Wortes "oberflächlichen" Angleichung der Bildschirmfenster auf MACs und PCs durch Windows 95 können viele Mackies über die Konfigurationsprobleme der bedauernswerten, aber ständig wachsenden PC-Liga nur bescheiden lächeln.

Wie also ist es möglich, daß die beiden Erzrivalen Apple und Microsoft nun plötzlich eitel Freundschaft demonstrieren und eine firmenpolitische Wende um 180 Grad vollziehen? Wie kann Steve Jobs einfach die insgesamt immer noch recht treuen Anhänger der Computer mit dem lächelnden Betriebssystem durch die Aussage brüskieren, Apple könne nicht nur dann gewinnen, wenn Microsoft verliere? Will er tatsächlich mit dem Teufel selbst einen Pakt abschließen? Und warum kommt ein kalter Krieger, der seit über einem Jahrzehnt mit geballter Marketingmacht seine Softwarestandards gegen die allgemeine qualitätsreicheren Produkte der kalifornischen Konkurrenz einsetzt, plötzlich auf die Idee, dem langjährigen Rivalen nun "freundschaftlich" unter die Arme zu greifen? Immerhin eine Wandlung mit wahrhaft biblischem Charakter, die der Bekehrung des Saulus zum Paulus auf der einen Seite und dem schon damals mit dem Apfel zusammenhängenden Sündenfall im Garten Eden auf der anderen Seite in nichts nachsteht.

An Erklärungen mangelt es nicht: Das Drama habe sich einfach überlebt, könnte man argumentieren, die Akteure der Computerindustrie hätten sich längst kurzweiligeren Szenen zugewandt. Der Drehbuchautor sei betrunken gewesen und habe jegliche Realitätsnähe vermissen lassen, ist eine andere Deutungsalternative. Es könnte aber auch möglich gewesen sein, daß Bill Gates sich eines Abends gelangweilt auf dem Sofa seiner 60-Millionen-Dollar-Villa geräkelt und der digitale Butler ihm daraufhin eine Ausgabe der Inter@ctive Week anempfohlen hatte. Darin entdeckte der Konzernchef die bei ihm sofort zündende Idee des "Wunderbaren Ratgebers" Al Perelman, daß das Unternehmen, das den Erhalt von Apple am besten gewährleisten könne, ganz eindeutig eben Microsoft und niemand sonst sei. Daraufhin wird Gates über die amerikanische Variante von T-Online die Firmenkonten befragt und eine schnelle Entscheidung getroffen haben...

Natürlich könnten wir auch Zeugen der ersten Auswirkungen des sich im Internet angeblich ausbildenden Teamgeistes geworden sein. Bill hat eben endlich eingesehen, daß sich gegen die Culture of Giving, gegen die Ökonomie des Geschenks nichts ausrichten läßt, daß man sich einfach an ihr beteiligen muß. Allerorten hören wir ja auch, daß im Internet selbst die größten Konkurrenten ihre vormaligen Fehden ruhen lassen und lieber miteinander kooperieren. Schon bei der ersten großen Welle der Begeisterung für das Netzwesen hatten sich ja anfangs der 90er Politiker und Unternehmer sowie Hippies und Technos rund um den Globus in einer geradezu anti-postmodernen Aufhebung aller Differenzen vereint, um die demokratischen und wirtschaftlichen Segnungen des Internet zu feiern. Und tatsächlich scheint dieser oftmals als reiner Hype verschrieene Spirit nun also langsam auch auf den höchsten Unternehmensebenen Früchte zu tragen. Denn könnte man den Deal nicht einfach als "Win-Win-Situation" verstehen, als eine Vereinbarung, die aus Konkurrenten mit Blick auf das eigentliche Ziel Partner werden läßt und an der alle etwas verdienen?

Anhänger von Verschwörungstheorien und bösartige Essayisten könnten die Freigebigkeit des Redmonder Fürsten allerdings auch als weiteren taktischen Schachzug im Spiel um die Weltherrschaft deuten. Es sei Gates noch nie um eine für alle zufriedenstellende Lösung gegangen, meint etwa der Chef von RealAudio, Rob Glaser, der früher im mittleren Management von Microsoft tätig war: Gates suche allein nach Wegen, andere zu Verlierern zu machen; Erfolg definiere sich für ihn nicht durch herausragende Leistungen, sondern durch das gewaltsame Abflachen der Konkurrenz. Und die Finanzzeitschrift Fortune titelte bereits Ende Mai über Bill Gates: "Er will Euer gesamtes Geschäft ­ und er ist auf dem besten Weg dazu." Tatsächlich scheint sich Microsoft nach dem anfänglichen Verschlafen des Internetbooms nun um so brachialer in die gesamte Branche einkaufen zu wollen: Da sind die "Kooperationen" mit Fernsehsendern wie NBC oder auch dem ZDF, mit denen Gates in Amerika bereits Nachrichten über Internet und Kabelfernsehen anbietet bzw. in Deutschland Ähnliches plant. Da ist die 425 Millionen Dollar teure Übernahme von WebTV, einer Firma, die mit Hilfe von Decodern das Internet auf den Fernsehschirm zaubern möchte. Und da ist der Einstieg mit rund einer Milliarde Dollar bei der viertgrößten US-Kabelfernsehgesellschaft Comcast Corp., die im Mobilfunkgeschäft sowie im Tele-Shopping-Bereich stark ist. Gleichzeitig leistet sich der visionäre Marktstratege mit Slate noch ein eigenes politisches Magazin im World Wide Web, kauft die elektronischen Bildrechte an großen internationalen Kunstsammlungen nach und nach für seine Firma Corbis auf und bereitet den "Krieg der Sterne" mit seiner Satellitenflotte des Teledesic-Projektes vor.

Und nun also Apple. Und das zu einer Zeit, in der eh kaum noch einer einen Pfennig auf die einstige Kreativschmiede gegeben hätte. Die Frage drängt sich also auf, ob es Gates wirklich um Apple geht oder um was sonst. Im Hinterkopf wird er sicherlich die sich schon lange hinziehenden Anti-Monopol-Untersuchungen des amerikanischen Justizministeriums gehabt haben. Denn noch gilt Apple eben in den Augen der Allgemeinheit als echter Konkurrent für Microsoft. Der Untergang Apples würde daher bei einigen Beamten die Anti-Trust-Falten anschwellen lassen und eventuell zu härteren Schritten gegen das "Softwaremonopol" von Microsoft führen. Doch eigentlich hat sich der Schauplatz im Kampf um die Standards längst von den lahmen PCs auf das lukrative Servergeschäft verlagert. Microsoft möchte in diesem Bereich sein Windows NT und die darauf basierenden BackOffice- Softwarepackungen mit Datenbanklösungen, Groupware-Anwendungen und Managementwerkzeugen gegen das noch immer weit verbreitete Unix und gegen sonstige denkbare Konkurrenz auf der Ebene der Betriebssysteme für Server ­ und dazu könnte bzw. hätte auch das bei Apple in der Entwicklung stehende neue "Rhapsody" gehören können ­ setzen. Denn von diesem Sektor wird die unternehmensbezogene Internetnutzung in den nächsten Jahren vor allem leben, auf diesem Markt werden in Zukunft die Gewinne gemacht: dem Marktforschungsinstitut IDC zufolge soll sich beispielsweise allein der Bereich für Windows-NT basierte Server von 3,8 Milliarden Dollar 1996 später mal auf über 53,6 Milliarden belaufen.

Damit wären die zukünftigen Konkurrenten Microsofts weniger Apple als vielmehr IBM bzw. Lotus, Novell, Oracle und natürlich Sun, dessen Chef Scott McNealy das Modell des Network-Computers bevorzugt, das eigentlich kaum mehr ein Betriebssystem, sondern nur noch Java-Applikationen benötigt. Überhaupt scheint sich McNealy immer stärker als neuer Hauptkontrahent zu Gates zu profilieren: Es könne nicht angehen, daß Microsoft erneut mit seinem NT die Computerlandschaft überschwemmen werde, kritisierte er unlängst in einem Interview. Das alles sei nur eine gehörige Selbstüberschätzung des Softwarekönigs der vergangenen Tage. Denn seit dem Aufkommen des Internet gebe es keine Welt mehr, in der ein Programm allen Wünsche nachkommen könne.

In diesem Zusammenhang wirkt der Apple-Deal nur wie ein verspätetes Geplänkel auf einem Nebenschauplatz. Die Show wird woanders weitergehen, mit neuer Besetzung und ausgereifteren Effekten. Und welche Rolle Apple in der Fortsetzung des Stücks und im Kampf um Digitalien noch spielen wird, ist weiterhin unklar. Mit der Berufung des Oracle-Chef Larry Ellison in den Verwaltungsrat von Apple scheint zumindest auch in dieses Spiel ein neuer Joker eingeschmuggelt worden zu sein, gilt Ellison doch als ausgesprochener Intimfeind von Bill Gates. Doch insgesamt wird man keine größeren Veränderungen im Drama um die Königskrone der Computerwelt erwarten dürfen. Einer wird gewinnen, im Fernsehen wie an der Westküste.